Nachhaltig, sauber, bio-hybrid – Neue Kraftstoffe aus der RWTH-Exzellenz-Schmiede

Im Technikum des Instituts für Technische und Makromolekulare Chemie werden auf
Im Technikum des Instituts für Technische und Makromolekulare Chemie werden auf 800 Quadratmetern Fläche auch Experimente im Rahmen des Exzellenzclusters FSC durchgeführt.
Die Energiewende auf der Straße dauert zu lange. Deutschland braucht eine Lösung für seine fossilen Verbrenner. Im Exzellenzcluster Fuel Science Center arbeiten Forscher der RWTH Aachen an sauberen Kraftstoffen für eine nachhaltige Mobilität. Entwickelt werden biohybride Kraftstoffe - eine Symbiose aus biomasse-basierten Kraftstoffen und E-Fuels.

Die Uhr tickt: Nach dem neuen Klimaschutzgesetz muss Deutschland bis 2045 die Treibhausgas-Emissionen reduzieren und klimaneutral werden. Das Gesetz basiert auf dem Pariser Klimaschutzabkommen von 2015, wonach fossile Energieträger durch erneuerbare Energien ersetzt werden sollen. Perspektivisch gesehen bedeutet das, Schiffe dürfen dann nicht mehr mit Schweröl fahren, Flugzeuge nicht mehr mit fossilem Kerosin fliegen und Autos nicht mehr mit fossilen Kraftstoffen wie Benzin oder Diesel betrieben werden. ,,Bisher haben wir verbrannt, was die Natur uns in Form fossiler Rohstoffe bietet", skizziert Professor Niklas von der Aßen vom Lehrstuhl für Technische Thermodynamik und Institut für Thermodynamik den notwendigen Wandel. ,,Wir wissen aufgrund der Anforderung zur Nachhaltigkeit: Wir müssen weg von den fossilen Kraftstoffen."

Allerdings kommt die Verkehrswende in Deutschland nur sehr schleppend voran: Auch wenn der Anteil alternativer Antriebsformen wie Elektromobilität und Hybridantriebe deutlich zugenommen hat, spielen sie weiterhin nur eine marginale Rolle. Was also werden Autos, Lkw, Flugzeuge und Schiffe in Zukunft tanken? Das Exzellenzcluster ,,Fuel Science Center (FSC) - adaptive Umwandlungssysteme für erneuerbare Energieund Kohlenstoffquellen" forscht an bio-hybriden Kraftstoffen, an einer Art Symbiose von Biomasse und E-Fuels, und geht damit einen völlig neuen Weg.

,,Die E-Mobilität sollten wir machen so gut es geht. Wir glauben einfach, wir brauchen noch andere Alternativen in anderen Sektoren aufgrund der weltweiten Logistik und aufgrund der Bestandsflotte", betont von der Aßen. Der Wissenschaftler ist Mitglied des Lenkungskreises und damit einer der führenden Köpfe des Exzellenzclusters. ,,Wenn wir Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden wollen, dann wollen wir auch Möglichkeiten erforschen, wie wir mit bestehenden Autos CO2-neutral, möglichst nachhaltig fahren können." Das sei zwar ineffizienter als die gleiche Menge Strom fürs Laden eines E-Autos zu nutzen, aber die einzige Möglichkeit, die bestehenden Autos klimaneutral zu fahren. Außerdem würden flüssige Kraftstoffe noch lange für Lkw, Flugzeuge und Schiffe benötigt.

Im Verbund mit zwei Max-Planck-Instituten, einem Helmholtz-Institut und dem Forschungszentrum Jülich arbeiten die Wissenschaftler der RWTH Aachen an nachhaltigen, nicht-fossilen Kraftstoffen. Anders als bei fossilen Kraftstoffen, die die Erdatmosphäre mit zusätzlichem CO2 aus der Erde belasten, soll das Kohlenstoffdioxid für die bio-hybriden Kraftstoffe aus Quellen gewonnen werden, die Teil des Kohlenstoffkreislaufs sind, wie beispielsweise Biomasse oder der direkten Gewinnung von CO2 aus der Luft. Bei der Verbrennung wird das Kohlenstoffmolekül unweigerlich wieder frei, aber es soll den natürlichen Kohlenstoffkreislauf, bei dem das Gas von der Atmosphäre durch Pflanzen und Boden wieder in die Atmosphäre gelangt, nicht zusätzlich belasten: ,,Wir versuchen damit, den CO2-Kreislauf zu schließen", sagt von der Aßen.

Werkzeugkasten für synthetische Kraftstoffe In der interdisziplinären Grundlagenforschung arbeiten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Chemie, Ingenieurs-, Systemund Sozialwissenschaften zusammen. Sie wollen eine Art Werkzeugkasten entwickeln, mit dem nachhaltige und saubere synthetische Kraftstoffe hergestellt werden können, die dann für alle Verbrenner nutzbar sind. Das Fuel Science Center ist eins von bundesweit 57 Exzellenzclustern, die in großen Verbundprojekten an Aufgabenstellungen der Zukunft arbeiten.

Das Cluster baut dabei auf Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem Vorgänger-Cluster zur Entwicklung maßgeschneiderter Kraftstoffe aus Biomasse auf. Dabei ging es um die Umwandlung von Biomasse in qualitativ hochwertige Kraftstoffe. Allerdings haben bio-basierte Kraftstoffe das Problem, dass sehr viel Biomasse und damit große Anbauflächen zur Produktion notwendig sind: ,,Die Erde ist von der Fläche her begrenzt. Da können wir gar nicht so viel Biomasse anbauen, ohne in Konkurrenz zu treten mit der Nahrungsmittelherstellung. Wir wollen ja auch keine Wälder abholzen. Das funktioniert nicht", sagt von der Aßen. Eine Alternative zu Kraftstoffen aus Biomasse sind so genannte E-Fuels, synthetische Kraftstoffe aus erneuerbarem Strom, Wasser und Kohlenstoffdioxid. Allerdings haben auch die E-Fuels einen entscheidenden Nachteil: Die Herstellung ist extrem energieaufwendig und damit die Effizienz gering.

Bio einerseits, Hybrid andererseits

Was aber, wenn man beide Produktionsrouten kombiniert? Durch die Kombination arbeiten die Forscher an energieeffizienten Methoden und Verfahren für die Herstellung neuer Kraftstoffe, die im Motor sauberer verbrennen. ,,Genau die Kombination - dieser Zwischenbereich - schafft Synergien und ist das Neue bei uns in dem Cluster: Bio einerseits und Hybrid", erläutert von der Aßen. Wie sauber die Kraftstoffe im Motor verbrennen, hängt dabei vor allem von dem genutzten Kraftstoffmolekül ab: ,,Wir können wie bei Legosteinen sagen, wenn wir da ein grünes Bauteil mit der und der Größe dran bauen, dann ändert das die Eigenschaften so und so. Jede neu zusammengesetzte Konstruktion verändert die Eigenschaften", erklärt von der Aßen.

Bei ihrer Arbeit nutzen sie den Bereich zwischen den beiden Technologien. Um neue Moleküle herzustellen, nehmen die Forscher CO2 als sogenannten Kohlenstoffträger zusammen mit Wasser oder Wasserstoff. Am Anfang war nicht klar, ob das funktioniert. Um möglichst zielgerichtet aus der schier unendlich großen Zahl an bio-hybriden Kraftstoff-Molekülen die vielversprechendsten auszuwählen, steht bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der sogenannte ,,fuel design"-Prozess im Zentrum: ,,Wir haben einen Kraftstoff-Designprozess etabliert, in dem wir alle Aspekte der chemischen Umwandlung und der Kraftstoffverbrennung berücksichtigen. In diesem Workflow, der kontinuierlich weiterentwickelt wird, kommen solche bio-hybriden Kraftstoffe heraus."

Einzigartiger ,,fuel design"-Prozess Die Forschenden arbeiten mit einer Reihe von Ausgangsmaterialien und haben viele mögliche Zielmoleküle identifiziert und sogar neue, bisher unbekannte Zielmoleküle designt, die bessere Kraftstoffeigenschaften haben und gleichzeitig auch sauber produziert werden sollen. ,,Zwischen den Anfangsmolekülen und den Endmolekülen liegt ein ganzes Reaktionsnetzwerk", macht von der Aßen das neue Potenzial deutlich. Dieser ,,fuel design"-Prozess ist demnach einzigartig, auch weil er so interdisziplinär ausgelegt ist und mit den Erkenntnissen bereits den Stand der Technik verschoben hat: Die Forscherinnen und Forscher stießen die Tür auf in eine chemische Welt mit neuen Reaktionsnetzwerken, neuen Pfaden, Verästelungen und positiven Synergieeffekten. Durch die Reaktionen in neuen Medien und durch Reaktionen verschiedener Pfade untereinander fanden sie neue Katalysatoren, die Prozesse effektiver machen.

Bei ihrer Arbeit kommen die Forschenden mit kleinen Mengen Kraftstoff aus. ,,Weil wir so viele Versuche in der ganzen Breite machen, können wir immer nur ein paar Milliliter Kraftstoff herstellen. Das reicht aber, um zum Beispiel Materialprüfungen zu machen. Das reicht auch, um in kleineren Motoren Tests zu machen. Aber bis zur großflächigen Anwendung wird es noch dauern", bremst von der Aßen die Erwartung, dass der Kraftstoff schnell verfügbar sein könnte. ,,Wir haben mit den neuen Kraftstoffmolekülen zeigen können: Indem diese Moleküle zum Beispiel mehr Sauerstoff erhalten, verbrennt der Kraftstoff sauberer und wir haben keine Rußpartikel mehr." Auch die Stickoxide wollen die Forscher in der Abgasnachbehandlung gegen Null senken. Die gleichzeitige Senkung beider Schadstoffe gegen Null sei bei fossilen Kraftstoffen überhaupt nicht möglich. Theoretisch könnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon jetzt einen Kraftstoff herstellen, der sauberer verbrennt und Treibhausgasemissionen reduziert.

Sie haben kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift ,,Nature Energy" einen bio-hybriden Kraftstoff als Diesel-Alternative für den Schwerlastverkehr vorgeschlagen. Die Besonderheiten: Die Herstellung basiert auf bereits etablierten Verfahren, und der Kraftstoff ist kompatibel mit bestehenden Fahrzeugen. Außerdem deutet die Ökobilanz nach Einschätzung der Forschenden in den meisten Umweltauswirkungen auf Vorteile oder keine größeren Nachteile hin, im Vergleich zum fossilen Diesel und auch verglichen mit batterie-elektrischen Antrieben. In der aktuellen grundlagenorientierten Forschung des Clusters geht es aber vor allem darum, den ,,fuel design"-Prozess weiter zu entwickeln - und mit ihm dann das beste Molekül zu finden, den richtigen Herstellungsprozess und die beste Verbrennung.

Allerdings führt die Nutzung von bio-hybriden Kraftstoffen nicht nur zu einer Reduzierung der Emissionen, sondern könnte auch den Verbrauch erhöhen. Mit der gleichen Tankfüllung könnten Autofahrer dann nicht mehr so weit fahren, aber, ,,am Ende zählen die Gesamtkosten pro 100 Kilometer. Bei diesen Kosten müssen die bio-hybriden Kraftstoffe wettbewerbsfähig sein, um auch von der Gesellschaft akzeptiert zu werden", erwartet von der Aßen.

Eine Frage der Akzeptanz

Denn am Ende geht es um die zentrale Frage: Unter welchen Bedingungen sagen Entscheidungsträger, Zwischenhändler und Verbraucher ,,Ja" zum alternativen Kraftstoff. Professorin Martina Ziefle vom Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der RWTH Aachen, untersucht in dem Cluster, welche Nutzungsmotive und Erfordernisse für die Verbraucher wichtig sind, damit der neue Kraftstoff erfolgreich werden kann. Die technische Faktenlage allein reiche für die Akzeptanz nicht. Soziale Rahmenbedingungen und emotionale Bewertungsmuster spielten wie immer bei Innovationen eine Rolle, genauso wie der Lebenskontext von Menschen oder verfügbare Alternativen, sagt Ziefle.

Und wie bei allen Innovationen tauchten Akzeptanz-Fragen auf, die tief in das soziale Lebensumfeld reichen: Der Schutz des Eigentums (,,Macht der neue Treibstoff meinen Motor kaputt, kann ich das in Zukunft noch bezahlen, was machen wir, wenn die Politik den Kraftstoff nicht mehr unterstützt?") und der Schutz der Gesundheit (,,Gibt es potenziell toxische Stoffe, die meiner Gesundheit schaden?"). ,,Das ist das, was Menschen bewegt", stellt Ziefle fest. Wichtige Aspekte seien auch ethische, politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen und eine ehrliche und transparente Kommunikation. In der Forschung wird ein ganzes Motiv-Bündel erfasst und auch geprüft, welche Gründe für oder gegen die Nutzung besonders relevant für das Akzeptanzurteil sind. Die Ergebnisse werden einerseits für die Entwicklung effektiver Kommunikationskonzepte genutzt, aber helfen auch Entwicklern und Entscheidungsträgern, frühzeitig im Prozess ein Gefühl für die Akzeptanzlage zu erhalten.

Bewertungsmotive berücksichtigen Gerade in den letzten zwei Jahren seien auch mehr und mehr Fragen zum Thema wahrgenommene Gerechtigkeit dazugekommen. Die Menschen fragten sich: Wem nutze und wem schade der Prozess, wo stehen die Produktionsanlagen, welche Einflüsse auf das soziale Zusammenleben gibt es? Entstehen neue Arbeitsplätze, wie verändern sich Märkte? ,,Der Entwickler richtet sich vor allem nach technischen und Ökonomischen, mehr und mehr auch nach Ökologischen Komponenten. Das ist unser methodischer Angriffspunkt, dass wir den Entwicklern und Entwicklerinnen frühzeitig sagen können: Das sind Bewertungsmotive, die nachher eine Rolle spielen können." Vor allem erwarteten die Menschen aber einen ergebnisoffenen Diskurs mit transparenten Informationen.

,,Wir wollen das objektiv erforschen von der naturund ingenieurwissenschaftlichen Seite. Wir wollen das sauber Ökonomisch,Ökologisch und auch sozialpolitisch bewerten und diese Information allgemeinverständlich zur Verfügung stellen", formuliert von der Aßen den Anspruch des Exzellenzclusters. Das Exzellenzcluster habe schon jetzt wertvolle Erkenntnisse zur Produktion und Nutzung bio-hybrider Kraftstoffe für den Kraftverkehrssektor gewonnen.

Energieimport mit chemischen Energieträgern

In der zweiten Forschungsphase soll nun der Betrachtungshorizont noch einmal erweitert werden: Zusätzlich zu den kohlenstoff-basierten Kraftstoffen sollen weitere Kraftstofftypen auf Basis von Stickstoff, neuartige Antriebskonzepte wie Brennstoffzellen für Flüssigkraftstoffe und weitere vielversprechende Anwendungsfelder wie die Chemieindustrie untersucht werden. Durch die Integration der Chemieindustrie werden weitere Synergiepotentiale erwartet, da einige der bisher identifizierten Kraftstoff-Moleküle oder deren Vorläuferstoffe bereits wichtige Grundchemikalien sind, wie zum Beispiel Methanol oder Ammoniak.

Lösungen brauche Deutschland aber auch für den notwendigen Energieimport. ,,Aktuell importieren wir sehr viel Energie aus dem Ausland. Wir haben Energiesystemmodelle, die sagen: Wir werden uns in Deutschland nicht autark komplett mit Energie versorgen. Wir werden Energie importieren", nennt von Aßen einen weiteren Aspekt für die Notwendigkeit nicht-fossiler, synthetischer Kraftstoffe. Ein Energieimport mit geladenen Batterien, die auf Schiffen nach Deutschland gebracht werden, sei unrealistisch.

Der Energieimport werde in Form von chemischen Energieträgern passieren. Das könnten zum Beispiel Wasserstoff, Ammoniak, Methanol oder andere flüssige Kraftstoffe sein. Die Beantwortung der Frage, welche Kraftstoffe und Energieträger in Zukunft genutzt werden, sei entscheidend für das Erreichen der Klimaneutralität Deutschlands. In der nächsten Phase möchte das Exzellenzcluster-Team Umwandlungstechnologien sowie Kraftstoffund Chemiemoleküle identifizieren, für welche die gesamte Wertschöpfungskette resilient und anpassungsfähig ist - die sich also an Veränderungen in der Nachfrage, Verfügbarkeit von Rohstoffen störungsfrei anpassen können. Außerdem sollen sie sogenannte ,,must-have" Lösungen beinhalten, also Technologien und Moleküle, die selbst unter veränderten Rahmenbedingungen immer zu den bestmöglichen Optionen gehören: ,,Wenn wir im Zuge der Klimaneutralität unsere Mobilität und Chemieindustrie umbauen, sollten unsere entsprechenden Entscheidungen möglichst robust gegenüber den vielen, auch geopolitischen Veränderungen sein."