
Was macht Wasser gefährlich?
Hohe Wasserstände und hohe Strömungsgeschwindigkeiten. Das ist für Menschen gefährlich, aber auch für Gebäude.
Nehmen außergewöhnliche Wetterereignisse zu?
Es gibt in der Tat eine Zunahme von intensiven meteorologischen Ereignissen - gerade in Deutschland beobachten wir das. 2013 gab es das Hochwasser an der Elbe, 2016/17 die Sturzflutereignisse in Braunsbach, Simbach und Goslar, 2018/19/20 und ’22 waren Dürre-Ereignisse, 2021 die Flut an der Ahr und in NRW sowie 2023/24 das Hochwasserereignis in Norddeutschland.
Haben wir aus diesen Ereignissen gelernt?
Ja und nein. Natürlich haben wir festgestellt, dass wir uns gegen Hochwasserund Starkregenereignisse schützen müssen. Die Frage ist, wie sehr das in der Bevölkerung und bei allen Kommunen auch angekommen ist. Da habe ich so meine Zweifel, wir sprechen da immer von der ,,Hochwasser-Demenz". Wir sind alle betroffen, wenn so ein Ereignis wie 2021 auftritt, aber nach einigen Monaten oder Jahren nimmt das wieder ab und die notwendigen Maßnahmen werden dann doch nicht eingeleitet.
Liegt das daran, dass Hochwasser in aller Regel lokal begrenzte Phänomene sind?
Ja, das ist ein Problem. Wir sehen die Ereignisse regelmäßig im Fernsehen, sind betroffen, aber vielfach werden keine Konsequenzen daraus abgeleitet.
Wo stehen wir denn aktuell beim Hochwasserschutz?
Es gibt Themen, bei denen sich wirklich etwas getan hat. Ein Beispiel ist die Frühwarnung. Die Einführung des Cell Broadcasting, also direkt aufs Handy gesendete Warnungen, ist zurückzuführen auf das Hochwasser 2021. Aber: Würde das gleiche Hochwasser von 2021 wieder auftreten, wären die Auswirkungen nahezu die gleichen. Denn was wir bislang nicht geschafft haben, ist, den Hochwasserschutz signifikant zu verbessern.
Sie erklären, Sie mahnen, Sie zeigen Wege auf - und doch ist der Schutz nicht wirklich besser geworden. Frustriert?
Ach, dass aus der Erfahrung nicht immer die richtigen Handlungen resultieren, gibt es ja nicht erst seit 2021. Allerdings treten solche Ereignisse wie 2021 ja auch nur relativ selten, nämlich ungefähr alle hundert Jahre auf. An der Ahr gab es das 1601, 1804, 1910 und eben jetzt 2021. Und auch 1910 wurde überlegt, was getan werden kann, umgesetzt wurde dieser Plan aber nie - mit dem Ergebnis, das wir 2021 gesehen haben. Deswegen werde ich auch nicht müde zu erinnern, dass wir einen vernünftigen Hochwasserschutz brauchen. Denn irgendwann, wir wissen nicht, wann, aber irgendwann wird so ein Ereignis wieder auftreten.
Jeder Ort hat seine Besonderheiten...
Wir haben sehr unterschiedliche Hochwasser-Genesen. So sind Mittelgebirge geprägt von stark anschwellenden Wasserwellen in kürzester Zeit - eben Sturzfluten. Im Flachland steigt das Wasser langsam an, bleibt über einen langen Zeitraum hoch und zieht sich dann langsam wieder zurück. An der Küste beobachten wir wieder eine andere Charakteristik, geprägt nicht von Niederschlag sondern Sturm. Deswegen heißen sie auch Sturmfluten, zusätzlich geprägt durch die Tide. Im Mittelgebirge und an den Küsten sind diese Ereignisse von kurzer Dauer, im norddeutschen Flachland kann es unter Umständen mehrere Wochen, sogar Monate dauern.
Gibt es beim Hochwasserschutz einen Königsweg?
Den ultimativen Weg gibt es nicht. Effektiver Schutz besteht immer aus vielen Komponenten. Das ist zum einen der technische Schutz, dazu gehören in Norddeutschland die Deiche, in den Mittelgebirgen die Rückhaltebecken und Talsperren und in urbanen Bereichen die Mauern. Aber das reicht nicht. Wir brauchen auch Hochwasser-Vorsorge. Da geht es um Information der Bevölkerung, um das Trainieren von Verhalten im Hochwasserfall oder auch um Risiko-Vorsorge, also Versicherungen. Dazu kommt die Bauvorsorge, das ist ganz wichtig, denn jede und jeder Einzelne kann etwas tun. Als Hausbesitzerin oder -besitzer können Sie die Schäden natürlich am effektivsten vermeiden, wenn das Wasser gar nicht erst ins Haus läuft. Also: Leichte Schwellen, Rampen, irgendwelche Hindernisse gegen kleine lokale Starkregenoder Hochwasserereignisse installieren.
Müssen wir den Flüssen auch wieder mehr Raum geben?
Das ist ein ganz wichtiges Thema, denn Probleme haben wir nur, wenn das Wasser in Konflikt mit unseren Nutzungen kommt. Das heißt: Raum für den Fluss - kein Problem mit Hochwasser. Wenn wir die Bereiche, die von Hochwasser betroffen sind, freigeben, bleibt Hochwasser, was es ist: Ein natürliches Ereignis. Denn Hochwasser hat es ja schon immer gegeben. Wenn wir in Hochwassergebieten bauen oder das Land anders nutzen, entsteht natürlich ein Konflikt. Hochwasser ist eben nicht nur eine Gefahr für den Menschen, sondern Bestandteil des natürlichen Wasserkreislaufes und für die Natur ein reinigendes Element, zum Beispiel weil Sedimente abtransportiert werden. In der Vergangenheit wurde statt weniger sogar verstärkt in gefährdeten Gebieten gebaut - dadurch erhöhen wir natürlich die Gefahr von schlimmen Konsequenzen.
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Forschung am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft?
Ein Schwerpunkt ist natürlich das Thema Hochwasser, national und international. Wir sind weltweit aktiv, auch über unser ABCD- (Aachen-Bangkok-Chennai-Dresden) Centre, ein vom DAAD gefördertes Projekt, in dem wir insbesondere die Auswirkungen des Klimawandels untersuchen. Ein weiteres Thema hier am Institut ist der Küstenschutz. Hier untersuchen wir zum Beispiel, wie die Auswirkungen von Tsunamis verringert werden können oder wie Küstenbauten aussehen sollten, um bestmöglich gegen eine solche Flutwelle gewappnet zu sein. Dafür haben wir in unserer Versuchshalle einen Tsunamiwellenkanal errichtet. Wir untersuchen auch die Sicherheit von Deichen, die Entstehung von Dünen, aber auch, warum diese versagen. Welche Rolle spielen dabei Sedimenttransport, Wellen, Strömungen oder hohe Wasserstände? Drittes Forschungsthema ist die Wasserkraft. Wie können wir Energie in Pumpspeicherkraftwerken speichern? Zur Wasserkraft gehört auch der Fischschutz, so untersuchen wir, wie sich Fische vor Wasserkraftanlagen verhalten. Ein anderes Thema ist das Mikroplastik: Was passiert mit Mikroplastik in Gewässern, wie wird es transportiert und wo sind die Senken, in denen wir letztlich das Mikroplastik finden können? Zu all diesen Themen können wir unterschiedlichste Versuche hier in der Versuchshalle durchführen.

Wie interdisziplinär ist das Thema?
Sehr. Wann immer wir Bauingenieure etwas am Gewässer machen, hat das Auswirkungen und damit Betroffenheiten in anderen Fachdisziplinen. Das können wir gerade hier an der RWTH sehr gut für interdisziplinäre Forschung nutzen, wir arbeiten mit allen Fakultäten zusammen, von den Naturwissenschaften bis zur Medizin gibt und gab es hier Projekte. Wasser ist in der Tat ein sehr interdisziplinäres Thema, Wasser betrifft uns alle.
Gibt es bei der internationalen Zusammenarbeit und Forschung Schwerpunkte?
Insbesondere in den asiatischen Ländern sind wir aktuell engagiert. Schwerpunkte sind in Indien, Thailand und Vietnam, dort führen wir sehr viele Untersuchungen durch. Da geht es insbesondere um Antworten auf den Klimawandel - was können wir machen, um der Gefahr durch Hochwasser zu begegnen, aber auch: Wie können wir Wasser speichern für Zeiten der Dürre?
Welche Rolle spielt die Digitalisierung, welche KI?
Daten sind eminent wichtig, sind Basis für nahezu alle Maßnahmen und Handlungen. Daher haben wir hier auch eine eigene Professur geschaffen, Juniorprofessorin Antara Dasgupta leitet am Institut die Data-Driven Computing in Civil Engineering-Group. Da geht es zum Beispiel um Satellitenfernerkundung, mittels derer Daten von verschiedenen Orten über einen langen Zeitraum erhoben werden können. Künstliche Intelligenz liefert uns sehr schnell verlässliche Informationen, die wir dann in Frühwarnsystemen einsetzen können. So haben wir beispielsweise - als unmittelbare Folge eines Starkregens im Jahr 2018 - für die Stadt Aachen ein KI-System aufgesetzt, das basierend auf Radardaten die Rettungsdienste koordiniert.
Apropos: Wo stehen wir bei den Frühwarnsystemen?
Teilweise noch am Anfang. Es gibt technische Entwicklungen, die auch einigermaßen funktionieren, aber wir müssen die Warnungen auch an die Menschen bringen - inklusive der Handlungsaufforderungen. Neben der technischen Komponente einer Warnung gibt es eben auch diese nicht-technische, und die ist mindestens genauso wichtig. Zum Vergleich: Im Brandfall kennen wir uns alle gut aus, weil es aber natürlich auch über Jahrzehnte trainiert wurde - so gibt es mindestens einmal im Jahr in Schulen einen Feueralarm und es wird demonstriert, wie wir uns verhalten müssen.
Wenn Sie einen Wunsch an die Politik formulieren dürften...
...dann wäre das: Hochwasserschutz auch wirklich umsetzen. Der Schutz entsteht auf dem Papier, aber Papier schützt nicht gegen Wasser. Es reicht nicht, Konzepte, Strategien und Maßnahmen zu planen, wenn wir nicht in die Umsetzung kommen. Nur realisierte Maßnahmen können auch schützen.
Wird die Gemengelage dadurch verkompliziert, dass Hochwasser nicht an Grenzen haltmacht?
Ja, und das geht schon bei regionalen Grenzen zwischen Städten und Kreisen los, geht weiter bis zu Grenzen zwischen Bundesländern und dann geht es um internationale Grenzen. Der Regentropfen, der irgendwo im Gebirge fällt, findet irgendwann seinen Weg ins Meer, Grenzen auf dem Weg dahin interessieren den Tropfen herzlich wenig. Deswegen brauchen wir eine Betrachtung der Einzugsgebiete von der Quelle bis zur Mündung.
Wasser gilt als knappes Gut, müssen wir irgendwann eine Trinkwasserknappheit fürchten?
In Deutschland kann es zwar lokal mal eng werden, aber unter den derzeitigen Rahmenbedingungen steht eine Knappheit nicht zu befürchten. Wir sind ein sehr wasserreiches Land. So hat in NRW die jährliche Niederschlagsmenge in den vergangenen 120 Jahren sogar zugenommen. Was wir indes haben, ist eine ungleichmäßige Verteilung: Mehr Niederschlag im Winter, weniger im Sommer. Heißt: Im Winter müssen wir das Wasser für den Sommer speichern.
Wie schauen Sie als Forscher auf solche Ereignisse? Die meisten Menschen schauen ängstlich auf die Naturgewalten.
Für uns sind solche Ereignisse wie 2021 - bei aller Betroffenheit und allen schlimmen Auswirkungen - sehr spannende Ereignisse, weil wir aus ihnen lernen können, wie wir die Situation für die Zukunft verbessern können. Denn das muss ja das Ziel sein: Die Folgen zukünftiger Katastrophen gering zu halten.
Können Sie entspannt an einem Bachlauf entlangschlendern oder sehen Sie auf jedes Gewässer mit dem Blick des Fachmanns?
Klar genieße ich es, an einem plätschernden Bach zu stehen, aber so ganz kann ich mich nie von der fachlichen Sichtweise lösen. Man sieht aber auch so viel: Den Sedimenttransport, die Morphodynamik, die Auswirkungen der Vegetation auf die Gewässerhydraulik oder die Spuren des Bibers. So genieße ich Gewässer auf meine Weise.
Wie oft haben Sie bei Ihren Einsätzen eigentlich schon nasse Füße bekommen?
Immer wieder mal, das bleibt nicht aus.