Wie einst Galilei

RWTH-Professor Achim Stahl über das Großforschungsprojekt Einstein-Teleskop - Bundestag stellt Mittel für Machbarkeitsstudie bereit

Das europäische Großforschungsprojekt ,,Einstein-Teleskop" soll nie dagewesene Einblicke ins Universum ermöglichen, Astrophysiker wollen so völlig neue Erkenntnisse über den Urknall, schwarze Löcher, Supernovas und Co. gewinnen. Wir sprachen mit Achim Stahl, dem Leiter des III. Physikalischen Instituts B an der RWTH Aachen, über Gravitationswellen, sterbende Sterne und die Bedeutung des Projekts für die Wissenschaft.

Was ist das Einstein-Teleskop?

Prof. Achim Stahl: Ein astrophysikalisches Projekt der Grundlagenforschung. Wir nennen es Teleskop, weil es Gravitationswellen aus dem Weltraum nachweist. Technisch gesehen sind es unterirdische Laser-Installationen, die natürlich nicht wie ein Teleskop aussehen. Der Name kommt also von der Funktion, damit Ereignisse beobachten zu können, die aus dem Universum zu uns kommen.

Gravitationswellen sind...

Stahl: ...periodische Verlängerungen und Verkürzungen des Raums. Vor gut 100 Jahren von Einstein in der Relativitätstheorie vorhergesagt, konnten sie 2015 mit den Teleskopen der zweiten Generation das erste Mal experimentell nachgewiesen werden. Wir planen nun die nächste Generation - rund zehn Mal so empfindlich. Mit dieser Generation wollen wir zurückkommen bis zu den Zeitpunkten, an denen sich im Universum Überhaupt erste Strukturen gebildet haben und dann Sterne erst entstanden sind.

Wie lassen sich aus Wellen Ereignisse ableiten?

Stahl: Die Relativitätstheorie hat uns gelehrt, dass sich um sehr konzentrierte Massen herum der Raum verkürzt. Ganz offensichtlich um schwarze Löcher herum, aber auch um kompakte Sterne. Das bedeutet, würde man einen Maßstab in ein schwarzes Loch fallen lassen, würde er allmählich kürzer werden. Das ist statisch, macht also noch keine Welle. Wenn nun zwei schwarze Löcher umeinander kreisen, dann verschiebt sich der Abstand permanent. Diese periodische Veränderung breitet sich in Form von Wellen durchs ganze Universum aus. Sie kann hunderte von Millionen Jahren durchs ganze Universum laufen, ohne wirklich eine Veränderung zu erfahren. Auch durch die Erde würde sie einfach durchlaufen. Die Erde würde aber ein ganz klein wenig zusammengedrückt und wieder auseinandergezogen - und das können wir mittels Laserlicht in speziellen Detektoren registrieren. Das faszinierende an der Technologie ist, dass wir Abstandsänderungen nachweisen können, die viel kleiner sind als der Durchmesser eines Atomkerns - bei den heutigen Teleskopen auf einer Messstrecke von drei oder vier Kilometern, beim Einstein-Teleskop sollen es zehn Kilometer werden.

Was ist die Erkenntnis, wonach suchen Sie?

Stahl: Eine Frage, die wir beantworten möchten, ist zum Beispiel die nach der Entstehung von schwarzen Löchern. Wir wissen, dass es Sterne gibt, die explodieren, eine sogenannte Supernova. Besonders schwere Sterne, die in eine Supernova aufgehen, kollabieren in ein schwarzes Loch, das dann die Masse trägt von etwa der Hälfte dieses Sterns, der Rest wird abgesprengt. Wir wissen aber auch, dass im Zentrum der Galaxien schwarze Löcher sitzen, die hundert Millionen Massen von Sternen in sich tragen und sicherlich nicht Folge des Tods eines einzelnen Sterns sind. Eine Frage ist also: Wie sind diese schwarzen Löcher entstanden. Sie könnten sehr viel älter sein, noch als Folge des Urknalls, so hätten sie genug Zeit gehabt, auf diese Massen anzuwachsen. Mit dem Einstein-Teleskop werden wir in der Lage sein, zu messen, wie weit die schwarzen Löcher entfernt sind und somit ihr Alter zu bestimmen. So lässt sich ermitteln, ob ein schwarzes Loch aus einem Sternentod oder aber der Frühphase des Universums stammt.

Wäre die Realisierung des Einstein-Teleskops ein weiterer Schritt in einer langen Entwicklung oder ein echter ,,Gamechanger"

Stahl: Ganz klar ein sehr großer Schritt. Es gab eine erste Generation, deren Empfindlichkeit noch nicht ausgereicht hat, um Gravitationswellen Überhaupt nachzuweisen. Das ist der zweiten Generation gelungen, wir konnten hier erstmals schwarze Löcher nachweisen, die 120 bis 140 Sonnenmassen schwer sind. Das war der experimentelle Nachweis, dass es schwarze Löcher gibt, die schwerer sind als Sterne, die maximal 30, vielleicht 40 Sonnenmassen schwer sein können, ansonsten würden sie instabil. Und jetzt soll die dritte Generation Teleskope folgen. Wir reden also nicht von einer kontinuierlichen Entwicklung, sondern von echten Meilensteinen, die jeweils ungefähr 20 Jahre umfassen.

Gibt es weitere Highlights, die die Teleskope der zweiten Generation herausgefunden haben?

Stahl: Sehr aufschlussreich war ein Ereignis mit einem Neutronenstern. Aufgrund der gemessenen Gravitationswellen konnten wir bestimmen, wo das Ereignis stattgefunden hat und dann konnten optische, Gamma-, Radio und Infrarot-Teleskope darauf ausgerichtet werden. So konnte das Nachglühen des Verschmelzens beobachtet und so bewiesen werden, dass große Mengen an schweren Elementen erzeugt wurden. Runtergebrochen auf die Alchemie könnte man sagen: Wir haben das Rätsel gelöst, wie Gold entsteht. Das Gold, das wir hier auf der Erde finden, ist in solchen Neutronensternkollisionen entstanden. Als die Erde entstanden ist, muss es irgendwo in der - im astronomischen Sinne - näheren Umgebung ein solches Ereignis gegeben haben.

Wenn also bei Teilchenkollisionen in Neutronensternen neue Elemente entstehen, sollte man dann nicht erwarten, dass auch bei Teilchenkollisionen am CERN Gold entsteht?

Stahl: Naja, für Gold reicht’s nicht. Aber ja, bei diesen Teilchenkollisonen lässt sich die Erzeugung schwererer Elemente nachweisen. Viel weiter als bis zum schweren Wasserstoff und Helium schafft man es indes nicht.

Welche Bedeutung hätte das Einstein-Teleskop für die Region?

Stahl: Erstmal natürlich eine immense wirtschaftliche. Wir rechnen in der Bauphase mit circa 3000 und in der Betriebsphase mit gut 1000 Arbeitsplätzen - nur ein kleiner Teil davon werden Stellen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sein, insbesondere wird technisches und Verwaltungspersonal benötigt. Vor dem Hintergrund des regionalen Strukturwandels wäre das ein gewaltiger Schritt. Dazu kommt ein großer wirtschaftlicher Effekt über Technologietransfer. Schaut man hier auch nochmal aufs CERN, sieht man, wie sich in der ehemals landwirtschaftlich geprägten Region Industrieund Forschungsparks angesiedelt haben. Technologisch gesehen, ist ein Gravitationswellenteleskop mit den Lasern im Mittelpunkt noch weiter als das, was das CERN macht. Man kann mit gutem Recht erwarten, dass all’ das noch deutlich mehr als die tausend Arbeitsplätze zum Strukturwandel beitragen würde.

Wie ist der Stand beim Einstein-Teleskop?

Stahl: Wir haben erreicht, dass wir auf der Roadmap für europäische Großforschungsprojekte stehen. Derzeit läuft eine Art Bieterwettbewerb: welche Region kann das beste Konzept - inklusive eines Finanzierungskonzepts - einreichen. Außer uns mit dem Dreiländereck ist insbesondere noch Sardinien im Rennen. Unser großer Vorteil ist, dass die Niederländer bereits 50 Prozent der Baukosten genehmigt haben. Außerdem haben sich das Land NRW und Belgien klar pro Teleskop positioniert, nun liegt es am Bundesforschungsministerium, das bei Gesamtkosten von circa 1,8 Milliarden Euro rund 350 Millionen zusagen müsste.

Nun gibt es erstmals eine Zusage, dass - vorbehaltlich eines genehmigten Bundeshaushalts - Geld vom Bund fließt...

Stahl: Genau - ein sehr wichtiges Zeichen, nicht zuletzt dank des großen Einsatzes der Bundestagsabgeordneten Ye-One Rhie und anderer Politiker aus der Region. Es geht um Gelder für die Planungsphase, drei Millionen Euro für 2024 und weitere sechs Millionen für 2025. Und auch wenn nicht das Ministerium, sondern das Parlament beschlossen hat, dass wir diese Mittel bekommen sollen, ist es ein erster großer Schritt zur noch fehlenden Zusage. Und wenn wir ein Finanzierungskonzept haben, ist - so glaube ich - auch relativ klar, wie die Standortentscheidung aussehen wird.

Nicht nur das mögliche Finanzierungskonzept prädestiniert die Region, auch der Boden.

Stahl: Genau, der Mergelboden, den wir hier haben, ist ein sehr weiches Gestein, das Störungen, die von unten oder oben kommen, absorbiert. Die Schicht hier in der Grenzregion ist sehr dick, rund 50 Meter, bevor dann ein abrupter Sprung auf harten Sandstein erfolgt, das sind optimale Voraussetzungen. Im Moment erforschen wir hier intensiv den Untergrund, um die ideale Positionierung zu bestimmen. So wird das Einstein-Teleskop auch zum Reallabor für Geologen und Geophysiker, denn selten wird eine Region so intensiv untersucht.

Wie begeistert schaut ein Forscher auf dieses Projekt?

Stahl: Völlig begeistert. Das Einstein-Teleskop ist eine fantastische Option. Es kommt ein völlig neues Medium dazu, völlig neue Beobachtungen werden möglich sein, das verschafft der Wissenschaft eine ganz und gar außergewöhnliche Perspektive. Ein Gefühl, wie es wohl Galilei hatte, als er zum ersten Mal durch neuartig geschliffene Linsen ins Universum schauen konnte.