Wie kann der stationäre Einzelhandel in ländlich geprägten Gebieten gestärkt werden, um sich gegenüber großen Online-Lieferdiensten zu behaupten? Dieser Frage widmen sich aktuell Forschende am Fachgebiet Prozessoptimierung der Technischen Universität Ilmenau. Im Rahmen des Projekts myLOG - MOL entwickeln sie gemeinsam mit Partnern ein Liefersystem mit autonomen Transportfahrzeugen, das auf dem optimalen Einsatz modernster 5G-Technologien basiert und Warenlieferungen deutlich schneller und günstiger als bei herkömmlichen Lieferdiensten möglich macht. Der Einkaufsund Lieferroboter ,,Whizzy" soll bereits ab 2024 Kundschaft in Strausberg mit Waren aus dem örtlichen Einzelhandel beliefern. Der öffentlichkeit wurde er schon jetzt vorgestellt.
Insbesondere in kleineren Städten leidet der Einzelhandel seit Jahren unter rückläufigen Umsätzen. Die Verbraucher*innen bestellen ihre Waren über mehr und mehr Online-Plattformen und lassen sich Bücher, Elektronikartikel oder Lebensmittel liefern. Dabei sind es nicht nur die großen Onlineplattformen, die dem Einzelhandel in den Innenstädten Konkurrenz machen. Immer häufiger verkaufen auch Sportoder Modemarken ihre Ware im eigenen Onlineshop. Dieser Trend hat sich durch die Corona-Krise noch einmal deutlich verstärkt: Einer Studie des Ifo-Instituts zufolge gewöhnen sich die Menschen in Deutschland immer mehr an den Online-Kauf von Bekleidung oder Haushaltswaren, was zunehmend zu einer Verödung der Innenstädte führt.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und die Wettbewerbsfähigkeit des Einzelhandels gegenüber dem Onlinehandel zu stärken, haben sich die TU Ilmenau, die Interlink GmbH, die LandLogistik GmbH, das Fraunhofer-Heinrich-Hertz Institut (HHI), die HHL Leipzig Graduate School of Management und die Gestalt Robotics GmbH unter Leitung der STIC Wirtschaftsfördergesellschaft Märkisch-Oderland zusammengetan. Gemeinsam mit dem Landkreis Märkisch-Oderland (MOL) entwickeln sie ein neuartiges Logistiksystem auf Basis des 5G-Mobilfunkstandards. Die Idee und das Konzept für myLOG -MOL entstand aus dem ZIM-Netzwerk ,,Autonome Logistik im ländlichen Raum" (AULORA) , erklärt Pu Li, Fachgebietsleiter und Experte für Prozessoptimierung an der TU Ilmenau.
Das Besondere an dem Konzept ist: Mehrere Lieferanten, beispielsweise Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Reha-Mittel-Anbietende, Buchläden, Textilgeschäfte, Schuhläden, Gastronomie und andere ausgewählte Anwender*innen, nutzen gemeinsam ein lokales autonomes Logistiksystem, um individuelle Wünsche verschiedener Kundinnen und Kunden zu erfüllen.
Schnellere und günstigere Lieferung als über herkömmlichen Online-Handel
Ihr Angebot können die Unternehmen online über die myLOG-App zur Auswahl stellen:
Sobald ein registrierter Nutzer seine Bestellung über die App ausgelöst hat, wird die bestellte Ware innerhalb des Stadtgebiets mit Hilfe des Einkaufsroboters ausgeliefert - quasi in Echtzeit. Die Kundin oder der Kunde erhalten über die App ein Signal, dass ,,Whizzy" vor der Tür steht, und können sich die Waren nach Eingabe einer Codenummer aus dem Fach des Rovers holen.
Dabei erlaubt das 5G-Netz einen ganz neuen technologischen Ansatz: ,,Die 5G-Technologie ermöglicht uns, die aufwändigen Berechnungen, die der Rover zur Orientierung und Bewegung benötigt, in die Cloud auszulagern", so Prof. Li. Auf diese Weise können die teilnehmenden Unternehmen aufgrund der kurzen Wege wesentlich schneller und voraussichtlich auch günstiger liefern als der herkömmliche Onlinehandel und so ihre größte Stärke ausnutzen: ihre Nähe zu den Kunden. Das 5G-Netz garantiert dabei nicht nur eine Echtzeitkommunikation, sondern auch einen sicheren, zuverlässigen Fahrbetrieb der autonomen Lieferroboter.
Die technische Umsetzung des Projekts stellte die Projektpartner jedoch zunächst über die funktionsfähige Fahrzeugsteuerung hinaus vor vielfältige Herausforderungen: Gemeinsam mussten sie die Wegerkennung und das Energiemanagement meistern und sicherstellen, dass die Transportfahrzeuge den Weg finden und Hindernisse meiden. Prof. Li und sein Team entwickelten und erprobten hierfür nicht nur die Fahrfunktionen und planten optimale Routen, sondern entwickelten auch eine Lösung zur Bildverarbeitung, die es dem Roboter ermöglicht, sich sicher auf den Gehwegen zu bewegen:
Nur mit einer durchdachten Lösung zur Umgebungswahrnehmung kann ein solches System wirtschaftlich betrieben werden.
Zudem müssen an einigen Kreuzungen noch über den Mobilfunkt vernetzte Sensoren installiert werden, damit dem Lieferroboter auch Informationen außerhalb seines Sichtbereichs zugänglich sind und ,,Whizzy" sicher und unfallfrei durch Strausberg fahren kann. Seine erste Testfahrt absolvierte der autonome Lieferroboter bereits im Oktober auf dem Gelände der STIC-Wirtschaftsfördergesellschaft. Für den ersten Feldversuch im kommenden Jahr sollen 15 bis 20 Einzelhändler in Strausberg gewonnen werden. Einige haben schon jetzt ihr Interesse angemeldet.
,,Auch in Thüringen und in der Stadt Ilmenau brauchen wir zukunftsweisende Innovationen für die logistische Infrastruktur, um den krisengebeutelten Einzelhandel zu unterstützen", ist Prof. Li Überzeugt:
Mit unserem ganzheitlichen Ansatz können wir als Vorreiter bei der Entwicklung neuer Konzepte und technischer Lösungen dienen und mit der großen Sichtbarkeit des Modellprojekts Anstoß geben, um die Logistik im ländlichen Raum wirtschaftlicher zu gestalten und Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte attraktiver für Unternehmen zu machen - und dabei gleichzeitig die Lebensqualität der ansässigen Bevölkerung erhalten und sogar verbessern.
Das Projekt ist Teil der 5G-Umsetzungsförderung im Rahmen des 5G-Innovationsprogramms des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und wird mit insgesamt 3,7 Millionen Euro für drei Jahre gefördert.
Erfahren Sie hier, wie ,,Whizzy" durch den STIC-Campus navigiert.