Forschen als partizipativer Prozess in urbanen Gärten - ein Gastbeitrag von Severin Halder
Bilder des münsterschen Stadtarchivs zeigen den Schlossplatz im Spätsommer 1944 als abgeerntetes Roggenfeld und führen damit die Bedeutung urbaner landwirtschaftlicher und gärtnerischer Tätigkeiten in Krisenzeiten vor Augen. Es verwundert daher nicht, dass Stadtgärten auch aktuell wieder an Aufmerksamkeit gewinnen.Der Künstler Wilm Weppelmann (1957-2021) leistete mit seiner Freien Gartenakademie ab 2006 in Münster Pionierarbeit für die Stadtgärten und trug so zum Revival der Kleingärten bei. Zeitgleich zogen mich in Rio de Janeiro die Hinterhofgärten der Favelas in ihren Bann - mit ihrem Potenzial für eine von multiplen sozialen und ökologischen Krisen geprägte urbanisierte Welt. Als Reaktion auf die eindrücklichen Erfahrungen in den Favelagärten widmete ich mich in meiner Promotion im Rahmen einer partizipativen Aktionsforschung den Stadtgärten, dieses Mal jedoch vornehmlich in Berlin. Der Fokus meiner Untersuchungen bestand nicht darin, andere Menschen beim Gärtnern zu beobachten und zu analysieren, sondern im Dialog mit ihnen aktiv zu werden und unsere Aktivitäten gemeinsam kritisch zu reflektieren. Das bedeutete konkret: urbane Gärten entstehen zu lassen, Gartennetzwerke zu knüpfen oder im Rahmen eines kollaborativen Schreibprozesses zusammen mit Hunderten Mitgärtnerinnen und -gärtnern das Urban-Gardening-Manifest "Die Stadt ist unser Garten" zu verfassen.
Im (Forschungs-)Prozess entstand der über die Berliner Stadtgrenzen hinaus bekannte Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld. Der Garten wuchs auf Paletten, wucherte schnell darüber hinweg und wurde eine Inspiration für die Entstehung neuer Gartenprojekte. In Deutschland gibt es inzwischen mehr als 900 Gemeinschaftsgärten und interkulturelle Gärten, die in den vergangenen 20 Jahren entstanden sind. In Münster gehören dazu unter anderem der Campusgarten "Grüne Beete", der studentische Garten des AStA, das GeoUrbanum, das aus dem Hansa Forum entstandene Gartenprojekt "Blatt Beton" und ein intergenerationales Gartenprojekt der Diakonie. Diese Gärten sind nicht nur Orte mit einer stadtökologischen Bedeutung, sondern auch Orte der Umweltbildung, der Kultur und Selbstversorgung, Räume der nachbarschaftlichen Selbstorganisation und des Zusammenlebens. Und somit eben zweifelsohne Orte der Hoffnung, die einladen, Antworten zu suchen auf die sozial-ökologischen Krisen der Gegenwart, wie die bisher wenig präsente Bodenkrise.
Es ist daher kein Zufall, dass wir bei unserer Arbeit im StadtLabor Münster - ein interdisziplinärer Forschungsverbund und Experimentierraum für forschendes Lernen und Lehren in den Geowissenschaften an der Universität Münster - bewusst die Nähe zu den Stadtgärten suchen. Unser Projekt "Kompost Zone" entsteht im Dialog mit den Verantwortlichen von Gärten in Münster, aber auch in Berlin, Bogotá und Kapstadt. Der Kompost als Objekt, Praxis und Metapher bildet dabei eine bodenständige Brücke des Dialogs und lädt ein, Fragen lebendiger Regeneration und sozio-ökologischer Transformation zu erkunden: Was können wir vom Kompost lernen? Was bedeutet es, "am Fuße des Elfenbeinturms" experimentell zu kompostieren?
Antworten darauf gibt es vom 16. bis 22. Juni beim Kompost-Festival - alle Gartenfreunde und die, die es werden wollen, sind willkommen.
Autor Dr. Severin Halder ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am StadtLabor Münster und Kurator des Kompost-Festivals.