Flucht und Exil der deutschsprachigen Philosophie

Nicholas Coomann, Max Beck und Roman Yos (v.l.) erforschen Emigration in der PhiNicholas Coomann, Max Beck und Roman Yos (v.l.) erforschen Emigration in der Philosophie. Foto: Jürgen Scheere (Universität Jena)

Kurz nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten setzte eine Welle von Repressionen ein, der politische Gegner ebenso wie Juden oder andere ,,missliebi­ge" Personen ausgeliefert waren. Eine Folge davon war der massenhafte Exodus von Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftlern, Kulturschaffenden und politischen Gegnern des Regi­mes. Fluchtziele waren Nachbarländer wie Frankreich, aber auch die Sowjetunion, die USA oder Länder in Südamerika. Welche Auswirkungen und Folgen hatte diese Emigration für das Fach Philosophie? Wer waren die Exilanten, welche Schicksale hatten sie? Fragen wie diesen wollen Max Beck und Nicholas Coomann mit einem kleinen Team von der Friedrich-Schiller-Universität Jena nachge­hen. In Kooperation mit Roman Yos von der Universität Potsdam bauen die beiden Dok­toranden eine ,,Digitale Datenbank Exilphilosophie" (DDEP) auf.   

Einige Hundert Personen kehrten Deutschland und Österreich den Rücken 

"Erstaunlicherweise wissen wir nicht genau, welche Philosophen, welche Philosophinnen emigriert sind, während das für andere Fächer recht gut dokumentiert ist", sagt Max Beck. Natürlich seien Flucht und Exil namhafter Philosophen wie etwa Max Horkheimer und Theo­dor W. Adorno hinreichend beleuchtet, bei weniger bekannten Vertretern des Faches sehe es zumeist trübe aus. Hinzu komme, so Nicholas Coomann, die fehlende Trennschärfe des Be­griffs ,,Philosoph". Abhilfe soll die Digitale Datenbank Exilphilosophie schaffen, an der die drei Wissenschaftler seit diesem Jahr arbeiten. Vorarbeiten sind gemacht, für einzelne Philoso­phen oder Philosophinnen sollen zudem externe Experten zurate gezogen werden. ,,Wir gehen von einigen Hundert Personen aus, die Deutschland und Österreich nach 1933 den Rücken gekehrt haben", sagt Nicholas Coomann. Ziel sei es, die manchmal verschlungenen Wege ins Exil multimedial sichtbar zu machen, aber auch zu zeigen, welche Auswirkungen die Fremde auf das Denken und Schreiben der Exilanten hatte. In den Fokus rücken weniger bekannte Philosophen wie Helmuth Plessner, der 1933 zunächst nach Istanbul und später in die Niederlande floh. Ein anderer Name: Paul Ludwig Landsberg. Der Philosoph mit jüdischen Wurzeln emigrierte via Schweiz nach Frankreich und schloss sich dort der Resistance an. Nach seiner Verhaftung durchlitt er mehrere Lager und starb schließlich im April 1944 in Sachsenhausen.

Zwischenstationen bei der Flucht ins rettende Ausland sichtbar machen 

Basierend auf einer Open Source-Software soll die Website u. a. später ermöglichen, den Aufenthaltsort von Exilanten zu einem bestimmten Zeitpunkt sichtbar zu machen. Für Anfang der 1940er Jahre werde diese Visualisierung beispielsweise die ,,Philosophendichte" in New York belegen, sagt Max Beck. Sichtbar gemacht werden aber auch die Zwischenstationen bei der Flucht ins rettende Ausland. 

Zunächst werde die Datenbank digital erstellt, um leichter Änderungen vornehmen zu kön­nen, sagt Nicholas Coomann. Schließlich gebe es ab und zu neue Erkenntnisse, etwa durch die Analyse von Nachlässen. ,,Aber es ist denkbar, dass wir später unsere Ergebnisse in Buchform veröffentlichen", so Coomann. Finanziell unterstützt wird das Forschungsprojekt durch die Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur sowie den Zukunftsfonds der Republik Österreich.