Perfekte Momentenverteilung für sichere Kurvenfahrt

Das Leichtbau-Torque Vectoring-Getriebe des Visio.M - Bild: Philipp Gwinner / TU
Das Leichtbau-Torque Vectoring-Getriebe des Visio.M - Bild: Philipp Gwinner / TUM

Große Reichweite, agile Fahrdynamik, hohe Sicherheit: Diese Ziele will das E-Mobility-Projekt Visio.M mit seinem Elektroauto verwirklichen. Forscher der Technischen Universität München (TUM) haben ein Torque Vectoring-Getriebe entwickelt, dessen Eigenschaften optimal an die Bedingungen bei Elektrofahrzeugen angepasst sind.



Begrenzender Faktor für die Reichweite von Elektrofahrzeugen ist die Energie, die von der Batterie geliefert werden kann. Um möglichst viel Bremsenergie zurückzugewinnen, haben Ingenieure der Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau (FZG) der TU München ein Torque Vectoring-Getriebe in Leichtbauweise für E-Fahrzeuge entwickelt.

,,Während das Drehmoment normalerweise 50 zu 50 auf die Räder der angetriebenen Achse übertragen wird, kann unser Torque Vectoring-Getriebe die Momente je nach Bedarf auf die Räder verteilen", erklärt Ingenieur Philipp Gwinner von der FZG. ,,Dadurch wird auch eine besonders gute Fahrdynamik erreicht." Beschleunigt das Fahrzeug in der Kurve, wird mehr Drehmoment auf das kurvenäußere Rad gegeben. Das Auto lenkt von selbst in die Kurve ein. Die Folge ist ein agileres und gleichzeitig sichereres Fahrverhalten.

Rückgewinnung der Bremsenergie auch in Kurven

Noch wichtiger ist den Forschern allerdings die optimale Rückgewinnung der Bremsenergie. Normalerweise wandeln die Bremsen Bewegungsenergie in Wärme um. Sogenannte Rekuperationssysteme können dies verhindern. Sie funktionieren nach dem Prinzip des Fahrrad-Dynamos, der die vom Rad abgenommene Leistung in elektrischen Strom umwandelt. Dieser kann im Falle von Elektrofahrzeugen zurück in die Batterie gespeist werden und erhöht so deren Reichweite.

In Kurven jedoch ist die Rekuperation des Fahrzeugs begrenzt, da das kurveninnere Rad deutlich weniger belastet wird als das kurvenäußere. Die Torque Vectoring-Funktion stellt das Rekuperationsmoment für beide Antriebsräder individuell ein. Das steigert die Stabilität des Fahrzeugs und erlaubt gleichzeitig mehr Energie zurück zu gewinnen.

Weniger Gewicht, geringere Kosten

Torque Vectoring-Getriebe werden heute in wenigen Oberklassefahrzeugen und Sportwagen mit Verbrennungsmotoren eingesetzt. Wegen ihrer hohen Kosten und des zusätzlichen Gewichts kamen sie aber bei Elektroautos bisher nicht zum Einsatz. Das Ziel der Forscher war es daher, das Getriebe für kleine Fahrzeuge mit Elektroantrieb zu optimieren.

Anstelle der bei Differenzialgetrieben üblichen Kegelradverzahnung entwickelten die Ingenieure ein Stirnraddifferenzial, bei dem über ein Planeten-Überlagerungsgetriebe ein zusätzliches Drehmoment von außen aufgeprägt werden kann. Mit einer im Vergleich zum Antriebsmotor sehr kleinen Torque Vectoring-Elektromaschine können sie damit bei beliebigen Geschwindigkeiten ein hohes Giermoment zum Einstellen der gewünschten fahrdynamischen Eigenschaften des Fahrzeugs erzeugen.

Die Gehäuse der ersten Prototypen bestehen aus Aluminium. Um noch mehr Gewicht einzusparen, wird das Aluminium-Gehäuse in der nächsten Entwicklungsstufe durch ein Verbundgehäuse aus Aluminium und faserverstärktem Kunststoff ersetzt. Um die Gehäusebelastung zu reduzieren ohne die gerade bei Elektrofahrzeugen kritischen Verzahnungsgeräusche zu erhöhen, haben die Forscher eine besondere axialkraftfreie Verzahnung entwickelt. Dies und weitere Bauteiloptimierungen reduzieren das Getriebegewicht um mehr als zehn Prozent.

,,Das Elegante an dem von uns entwickelten Torque Vectoring-Getriebe ist, dass sich mit diesem nicht nur das Rekuperationsniveau heben und damit die elektrische Reichweite steigern lässt", sagt Professor Karsten Stahl , Leiter der FZG, ,,das Getriebe erhöht auch die Fahrdynamik und damit Fahrspaß und Sicherheit. Durch die laufenden weiteren Optimierungsmaßnahmen ist zu erwarten, dass Gewicht und Kosten zukünftig im Bereich von heutigen Standard-Differentialgetrieben liegen werden".

Am Forschungsprojekt ,,Visio.M" (www.visiom-automobile.de) beteiligen sich, neben den Automobilkonzernen BMW AG (Konsortialführer) und Daimler AG, die Technische Universität München als wissenschaftlicher Partner, sowie Autoliv B. V. & Co. KG, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Continental AG, Finepower GmbH, Hyve AG, IAV GmbH, InnoZ GmbH, Intermap Technologies GmbH, LIONSmart GmbH, Amtek Tekfor Holding GmbH, Siemens AG, Texas Instruments Deutschland GmbH und TÜV SÜD AG. Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogramms IKT 2020 und des Förderschwerpunkts ,,Schlüsseltechnologien für die Elektromobilität - STROM" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) über 2,5 Jahre gefördert und hat ein Gesamtvolumen von 10,8 Mio. Euro.