Klimaforscherin Prof. Lisa Schipper erklärt im Nature Climate Change-Kommentar, warum die Wissenschaft auch Emotionen braucht
,,Es ist wirklich schwierig und deprimierend, ständig darüber zu lesen und zu forschen, wie Menschen und Ökosysteme unter dem Klimawandel leiden", ist Lisa Schipper von der Geographischen Entwicklungsforschung der Universität Bonn Überzeugt. Als Wissenschaftlerin war sie am Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC beteiligt. Nun plädiert sie in einem Kommentar im renommierten Journal ,,Nature Climate Change" dafür, dass auch die Wissenschaft Diskussionen über Emotionen braucht. Wir haben Lisa Schipper dazu befragt.Wie sind Sie dazu gekommen, einen Kommentar über Klimawissenschaft und Emotionen zu verfassen?
Eine Umfrage der britischen Tageszeitung ,,The Guardian" unter fast 400 Wissenschaftlern, die am Sechsten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC mitgewirkt haben, zeigte, dass die meisten sehr besorgt über die Folgen des Klimawandels sind. Einige von uns wurden weiter befragt. Wir äußerten unsere Befürchtungen hinsichtlich der Zukunft unserer Kinder, der Ökosysteme und der Menschen, die in den am stärksten gefährdeten Gebieten leben. Wir erhielten viel Gegenwind von anderen Wissenschaftlern. Darunter waren auch IPCC-Mitautoren, die meinten, dass wir zu pessimistisch und deprimierend seien und dass es nicht hilfreich sei, Gefühle zu äußern. Wir würden Apathie schüren, wenn wir unserer Sorge Ausdruck verleihen. Das bestärkte unseren Eindruck, dass die Bedeutung von Emotionen in der Wissenschaft Übersehen wird. Wir haben deshalb beschlossen, damit an die öffentlichkeit zu gehen. Für die meisten Menschen auf diesem Planeten droht der Klimawandel existenziell zu werden - und der Rückzug in Depression und Apathie ist keine Option.
Wie können Emotionen der Forschenden die Forschung konkret beeinflussen?
Psychologen, Verhaltensökonomen und Politikwissenschaftler untersuchen bei ihrer Forschung, warum Menschen unterschiedliche Entscheidungen treffen. Darunter auch zur Frage, was Menschen dazu bewegt, Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen (oder nicht) oder sich darüber Sorgen zu machen (oder nicht). Aber diese Forschung befasst sich hauptsächlich mit der Meinung der öffentlichkeit. Die meisten Menschen wissen aber nicht viel über das Klimasystem oder die Folgen der globalen Erwärmung. Würde man Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler fragen, bekäme man wahrscheinlich viel mehr beunruhigte Antworten. Es ist wirklich schwierig und deprimierend, ständig darüber zu lesen und zu forschen, wie Menschen und Ökosysteme unter dem Klimawandel leiden. Jedoch kann meiner Meinung nach eine tiefe Besorgnis die nötige Energie liefern, um alle möglichen Ursachen und Lösungen für ein Problem zu untersuchen. Da der Klimawandel ein ,,bösartiges Problem" ist, für das es keine eindeutige Lösung gibt, brauchen wir dieses Engagement.
Ist das Paradigma von der Objektivität der Wissenschaft vor diesem Hintergrund noch haltbar?
Im Forschungsprozess werden viele Entscheidungen getroffen - von der Forschungsfrage über die Auswahl der Methoden und der Daten bis hin zur Art der Analyse. All dies wird von der Weltanschauung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beeinflusst. Die Vorstellung, die Wissenschaft sei irgendwie frei von Werten, ist also ein Mythos. Die Forschung wird sogar davon beeinflusst, welche Art von Themen Geldgeber für förderungswürdig halten. Was in vielen Ländern davon abhängt, welche politische Partei an der Macht ist. In den Sozialwissenschaften lernen wir, in unserer Forschung reflexiv zu sein. Das bedeutet, dass wir erkennen müssen, wie unsere Weltanschauungen und unsere früheren Erfahrungen uns dazu verleiten können, Ergebnisse so zu interpretieren, dass sie unsere Überzeugungen bestätigen - während wir Daten ausblenden, die möglicherweise eine andere Geschichte erzählen.
Man könnte nun den Eindruck gewinnen, dass die Emotionen der Forschenden dazu führen, dass die Ergebnisse der Klimaforschung willkürlich sind. Ist das so?
Im Gegensatz zu den Behauptungen von Klimaskeptikern haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kein Interesse daran, herauszufinden, dass sich das Klima schneller oder auf eine andere Weise verändert, als es frühere Studien gezeigt haben. Die Aussicht auf mehr Forschungsmittel oder eine zusätzliche Veröffentlichung ist keine denkbare ,,Belohnung" für eine solches Ergebnis. Schließlich sind auch Forschende als Menschen, die auf diesem Planeten leben, von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Das Thema ist so schwierig, dass man sich nur weiter damit beschäftigen kann, wenn man eine Lösung finden will. Der Klimawandel kann bei den Forschenden Panik, Wut und Traurigkeit auslösen. Solche Emotionen können einen negativen Einfluss auf die Wissenschaft haben, wenn dadurch das Forschungsthema aufgegeben wird.
Ihre Mitautorinnen und Sie schreiben über eine Kluft zwischen Untergangsstimmung und Hoffnung in der Klimaforschungsgemeinschaft. Wie verhält es sich damit?
Wir assoziieren die extrem pessimistische Perspektive oft mit Wissenschaftlern, die sich einer negativen Sprache bedienen, wenn sie über die Zukunft sprechen. Bilder von abgestorbenen Korallenriffen, verdursteten und verhungerten Viehbeständen und Infrastrukturschäden durch Überschwemmungen gelten als typisch. Hoffnungsträger sind diejenigen, die sich optimistisch über die Bereitschaft der Gesellschaft äußern, von fossilen Brennstoffen wegzukommen, oder sich an die extremen Auswirkungen des Klimawandels anpassen zu können. Aber wie wir in unserem Beitrag schreiben, schwanken die meisten Menschen wahrscheinlich zwischen diesen verschiedenen extremen Gefühlen. Wenn man sich große Sorgen um die Zukunft macht, wird man Teil des Problems und nicht der Lösung, wenn man aufhört zu forschen. Und wer für eine technologiegestützte kohlenstoffarme Energiewende eintritt, wird sich bewusst sein, dass diese nur gelingt, wenn alle Interessengruppen mit ihren unterschiedlichen Prioritäten an Bord sind. Ich denke aber, dass mehr Ehrlichkeit in allen Lagern sehr wichtig wäre, damit die Diskussion nicht zu einem Konflikt zwischen Menschen wird, die den Klimawandel bereits als Problem erkannt haben.
Sie argumentieren, dass die Wissenschaft auch Emotionen braucht und dass Forschende offen darüber sprechen sollten. Was würde das bewirken?
Im Idealfall würden solche Gespräche zu mehr Bescheidenheit in der Forschungsgemeinschaft zum Klimawandel führen. Wir sollten erkennen, dass unsere verschiedenen disziplinären Sichtweisen nur gemeinsam dazu beitragen, einen Weg zur Vermeidung der Klimakrise zu finden. Gemeinsam können aus Ideen Lösungen werden. Entgegen der vorherrschenden Meinung ist die Physik zur Erforschung des Klimasystems keineswegs die beste Quelle für Erkenntnisse, wie die Treibhausgasemissionen reduziert und die Auswirkungen des Klimawandels bewältigt werden können. Dieses Wissen stammt von anderen Disziplinen, einschließlich den Sozialwissenschaften. Diese wissen etwa, wie sich Menschen verhalten, wie Politik gemacht wird, wie Energieund Industriesektoren auf kohlenstoffarme Prozesse umgestellt werden können. Darüber hinaus wären solche Foren vielleicht zumindest ein Ort, an dem wir uns gegenseitig emotional unterstützen können, um weiterzumachen und nach Antworten zu suchen.