Deutschland verliert durchschnittlich 760 Millionen Tonnen Wasser pro Jahr

Studie des GeoForschungsZentrums unter Beteiligung der Universität Bonn

Räumliche Verteilung der Anomalien der Gesamtwasserspeicherung (TWS) für Deutsch
Räumliche Verteilung der Anomalien der Gesamtwasserspeicherung (TWS) für Deutschland aus den Satellitendaten von GRACE und GRACE-FO in den Monaten mit der größten positiven Anomalie (links) und der größten negativen Anomalie (Mitte) relativ zum langjährigen Monats-Mittelwert von TWS sowie die Differenz zwischen den beiden Monaten (rechts). © Güntner et al. (2023); Hydrologie & Wasserbewirtschaftung, 67, (2), 74-89. DOI: 10.5675/HyWa_2023.2_1 .
Die letzten fünf Jahre in Deutschland waren von massiven Sommerdürren geprägt. Es ging sehr viel Wasser verloren. Nur: Wie hoch die Verluste genau waren und ob sich daraus ein Trend für die Zukunft ableiten lässt, hierzu gibt es nach wie vor offene Fragen. Ein Team des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) hat nun gemeinsam mit Forschenden der Universität Bonn und des Forschungszentrums Jülich die Jahre von 2002 bis 2022 genauer untersucht. Ihr Fazit: Im Durchschnitt hat Deutschland jedes Jahr 760 Millionen Tonnen Wasser verloren - sei es durch abnehmende Bodenfeuchte, schwindendes Grundwasser, abgeschmolzene Gletscher oder gesunkene Wasserspiegel.

Die Studie beruht in erster Linie auf Daten der Satellitenmissionen GRACE (2002 bis Missionsende 2017) und GRACE-Follow On (seit 2018 aktiv). Das Besondere daran ist, dass die Forschenden vier verschiedene Auswertemethoden verglichen haben und damit zu einem deutlich geringeren Wasserverlust kamen als andere Auswertungen der Satellitendaten, die lediglich auf einer einzigen Methode beruhten. Der gesamte Wasserspeicher (auf Englisch Terrestrial Water Storage, TWS) hat demnach in den zwei Jahrzehnten um zusammengerechnet 15,2 Kubikkilometer abgenommen. Zum Vergleich: Der Wasserverbrauch aller Sektoren - Industrie, Landwirtschaft, Privathaushalte - in Deutschland beträgt rund 20 Kubikkilometer pro Jahr. Um verlässlich einen Trend abschätzen zu können, sei der Zeitraum jedoch zu kurz und zu stark von verschiedenen Extremen geprägt, schreiben die Forschenden in der April-Ausgabe der Fachzeitschrift Zeitschrift ,,Hydrologie & Wasserbewirtschaftung (HyWa)".

Bestimmung von Schwerefeld und Wassermassen aus Satellitendaten

Die Satellitenmissionen GRACE (2002 bis Missionsende 2017) und GRACE-Follow On (seit 2018 aktiv) sind einzigartig. Die Satelliten-Tandems vermessen die Erdanziehungskraft, das so genannte Schwerefeld, und dessen Änderungen global auf Monatsbasis. Aus diesen Schwerefelddaten lassen sich Massenverlagerungen erkennen, die wiederum Rückschlüsse auf Veränderungen im Wasserkreislauf erlauben, also beispielsweise das Abschmelzen von Gletschern oder das Entleeren von Grundwasserspeichern. Erstmals ist es damit zum Beispiel gelungen, den Eismassenverluste Grönlands und der Antarktis zu quantifizieren. Der große Vorteil dieser Art von Messung: Sie erfasst auch Grundwasserstockwerke, die tief unter der Erdoberfläche verborgen sind. Der Nachteil: Die räumliche Auflösung der Schwerefelddaten ist vergleichsweise grob: rund 300 mal 300 Kilometer. Verlässliche Aussagen lassen sich daher nur für Gebiete von rund 100.000 Quadratkilometern Größe treffen, das entspricht etwa der Fläche der ehemaligen DDR.

Ein Team von Forschenden unter der Leitung von Andreas Güntner vom Deutschen GeoForschungsZentrum hat jetzt erstmals für Deutschland einen detaillierten Überblick über die von den Satelliten gemessenen Änderungen des Gesamtwasserspeichers der letzten zwanzig Jahre veröffentlicht. Beteiligt waren Kolleginnen und Kollegen mehrerer GFZ-Sektionen sowie Forschende aus dem Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität Bonn, dem Forschungszentrum Jülich und dem gemeinsamen Sonderforschungsbereich 1502 DETECT. 

,,So paradox das klingt: Satellitenmessungen - also aus dem Weltall und Hunderte von Kilometern über der Erdoberfläche - sind unsere einzige Möglichkeit, um die Veränderung der Wassermenge im Mittel über ganz Deutschland berechnen zu können", betont Mitautor Jürgen Kusche vom Institut für Geodäsie und Geoinformation der Universität Bonn. ,,Punktuelle Messungen und hydrologische Modelle sind nicht genau genug."

Für die Auswertung der Daten - sowohl was die Bestimmung des Schwerefeldes betrifft als auch daraus abgeleitet die Bestimmung der gespeicherten Wassermassen - muss eine ganze Reihe von störenden Effekten herausgerechnet werden. So sind die 300 mal 300 Kilometer messenden Datenflächen naturgemäß nicht scharf abgegrenzt, denn der Einfluss der Schwerkraft auf die Satelliten lässt sich nicht auf klar definierte Segmente der Erde zurückführen wie etwa bei einem Satellitenbild. Das zeigt sich etwa darin, dass der Schwerefeldeffekt abschmelzender Alpengletscher auch die Messungen für die Wasservorkommen im Alpenvorland Überlagert (der Effekt wird ,,Leakage" genannt): Wenn die Gletschermassen schwinden, sieht es für die Satelliten so aus, als ob auch weiter entfernte Wassermassen verschwunden seien. Außerdem ändert sich das Schwerefeld der Erde auch, ohne dass sich akut Wassermassen verändern. Ein Effekt ist beispielsweise, dass sich in manchen Regionen nach dem Verschwinden der eiszeitlichen Gletscher heute noch die Erdkruste hebt. 

Analyse verschiedener Datenreihen für Deutschland

Je nach Prozessierungsmethoden und korrigierenden Faktoren ergeben sich leicht unterschiedliche Werte für das Schwerefeld und dessen Variationen. Die Forschenden nutzten für ihre Studie vier Datenreihen: die GFZ-eigene, eine aus mehreren Datenreihen berechnete Kombinationslösung der Uni Bern (COST-G genannt), eine der Universitäten Graz und Bonn (ITSG/UB) und eine vom Jet Propulsion Laboratory der NASA (JPL Mascons). Zusätzlich nutzten sie Niederschlagsdaten und Computermodelle des FZ Jülich, die die Veränderung des Gesamtwasserspeichers simulierten. 

Über weite Teile des Beobachtungszeitraums, insbesondere in den Jahren zwischen 2004 und 2015, stimmen die Ergebnisse aller vier Datensätze für die Schwerefeldänderungen gut Überein. Unterschiede gab es vor allem zu Beginn und am Ende der Zeitreihen. Das Jahr 2002 war von extremen Niederschlägen insbesondere in Süddeutschland geprägt. Die verheerenden Hochwasser an der Donau und der Elbe ereigneten sich im August 2002. Und am Ende des Untersuchungszeitraums stehen die trockenen Jahre seit 2018. In beiden Extremfällen zeigte vor allem die NASA JPL-Mascons-Datenreihe größere Ausschläge nach oben und unten. Auch die jahreszeitlichen Unterschiede zwischen dem Maximum der Wasserspeicherung im Winter und dem Minimum im Sommer fallen bei der NASA JPL-Reihe am stärksten aus. Die Forschenden mahnen daher zu Vorsicht bei der Interpretation von Auswertungen, die lediglich auf einer Datenreihe beruhen und weisen insbesondere auf besondere Empfindlichkeit für Flutoder Dürre-Extreme bei der NASA JPL-Mascons-Reihe hin. Sie vermuten die Ursache in unterschiedlichen Prozessierungsverfahren und bei der Korrektur des ,,Leakage"-Effekts.

Es waren jedoch ausgerechnet diese Datenreihe und Schlussfolgerungen daraus, die im vergangenen Jahr zu einem großen Medienecho geführt hatten: Deutschlands Gesamtwasserspeicher verliere fast 2,5 Kubikkilometer Wasser pro Jahr, hatte es geheißen. Besonders betroffen sei der Südwesten. Der Vergleich mit anderen Auswerteverfahren zeigt nun: Es sind vermutlich ,,nur" 0,76 Kubikkilometer, also knapp ein Drittel des über die JPL-Mascons-Reihe bezifferten Verlusts. Und besonders in der Nähe der Alpen müsse man den Schwerefeld-Effekt abschmelzender Gletscher (Leakage) zusätzlich in Betracht ziehen.

Trotz der niedrigeren Werte gibt der Leitautor der Studie, Andreas Güntner, zu bedenken: ,,Die Beobachtungen aus allen Datensätzen zeigen, dass ein Jahr mit höheren Niederschlägen wie 2021 nicht ausreicht, um die Defizite der Wasserspeicherung, die sich über den längeren Zeitraum angesammelt haben, wieder auszugleichen." Mitautorin Helena Gerdener von der Universität Bonn mahnt zur Vorsicht: ,,Da es in den zwanzig Jahren der bisherigen Datenerhebung einige auffällige Extreme gegeben hat, ist eine Aussage zu einem langfristigen Trend nur schwer zu treffen." Umso wichtiger sei die Kontinuität der Messreihe, schreiben die Forschenden. Eine Fortsetzung der GRACE- und GRACE-FO-Missionen wird bereits geplant und soll 2028 ins All starten.