’Wer die Geldströme eines Menschen kennt, kennt den Menschen’

© unsplash - Alistair MacRobert
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Neben technischen Belangen und Fragen, die bisher vor allem etwas für Eingeweihte sind, berühren Kryptowährungen auch einzelne Individuen sowie das gesellschaftliche Leben. Gisela Schmalz, Wirtschaftswissenschaftlerin, Philosophin und Autorin, blickt im Interview mit André Bednarz auf positive wie negative Potenziale der Digitalwährungen.

Berührt der Einsatz von Kryptowährungen auch ethische und moralische Fragen, oder handelt es sich bei diesem Technikprodukt lediglich um Freizeitund Spekulationsobjekte einer Minderheit, die die Gesellschaft nicht kümmern müssen?

Kryptowährungen verursachen negative Externalitäten in Form von ökologischen, sozialen und ökonomischen Kosten. Also, ja: Man sollte durch die Brille der Ethik darauf schauen.

Um welche Externalitäten handelt es sich dabei?

Zu den ökologischen Externalitäten des energieintensiven Minings gehört ein C02-Fußabdruck, der größer ist als der der Schweiz. Das sind 0,5 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs und siebenmal mehr als der des Technikgiganten Google. Zudem produziert jede der aktuell rund 300.000 Bitcoin-Transaktion pro Tag eine Elektroschottmenge, die der zweier iPhones entspricht, wie Forscher*innen des MIT und der niederländischen Zentralbank in einer Studie herausfanden.

Auswirkungen auf das Zusammenleben haben Kryptowährungen auch, da sie dazu genutzt werden, kriminelle Aktivitäten zu erleichtern und zu verschleiern. Das stellt die Strafverfolgungsbehörden vor die anspruchsvolle Aufgabe, mittels neuer Technologien verübte Verbrechen zu erfassen und aufzuklären. Ferner erleichtern Bitcoin & Co. Übervorteilung, Steuerbetrug oder Geldwäsche, wodurch Individuen, Unternehmen oder ganze Volkswirtschaften getroffen werden können. Die Schäden sind somit umfassender Natur.

Gibt es auch Vorteile?

Zum Nutzen, gehört, dass Nutzende bei Geldtransfers anonym bleiben und Kosten sparen. Viele Formen von Transaktionskosten, in der Regel Einnahmequellen für klassische Banken, fallen weg und bleiben auf den Konten der Kund:innen. Davon profitieren vor allem Menschen des Globalen Südens. Wanderarbeiter:innen aus Entwicklungsländern können Teile ihrer Einnahmen per Kryptotransfer schnell, flexibel und mit niedrigen Transaktionsgebühren an Verwandte in ihren Heimatländern Überweisen - was den oft einkommensschwachen Familien, aber auch der gesamten inländischen Wirtschaft zugutekommt. Deshalb befürworten auch die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die UN sinkende Transaktionskosten. Zwar ist der Preis, der dafür bezahlt wird, der Verzicht auf Stabilität und Sicherheit, die klassische Banken bieten, doch zeigt dieser Exkurs in die Welt der Rücküberweisungen, welche noch gar nicht ausgeschöpften Vorteile ein digital abgefedertes, dezentrales Geldsystem eröffnen kann.

Wie bewerten Sie die Anonymität von Kryptowährungen?

Bisher ist es so, dass über herkömmliche Geldsysteme mit zentralistischer Instanz und Banken als Mittler die Freiheit und Anonymität von Kund:innen nicht komplett geschützt sind - wer die Geldströme eines Menschen kennt, kennt den Menschen. Von dieser (Teil-)Transparenz profitieren Unternehmen im Finanzsektor, etwa indem sie mit Daten handeln, aber auch Regierungen, insbesondere autokratische Regime, die ihr Volk kennenlernen und gezielt steuern wollen. Eine erhöhte Privatsphäre im Zahlungsverkehr verlangt aber auch ein Mehr an Selbstverantwortung: Niemand sollte im Darknet auf Einkaufstour gehen und dort Drogen, Waffen oder Hehlerware kaufen oder mit schwer nachvollziehbar funktionierenden und dadurch recht gut geschützten Währungen spekulieren und bei alldem Steuern hinterziehen.

Wie sieht aus Ihrer Sicht ein ethisch verantwortungsvoller Umgang mit Kryptowährungen aus?


Es geht im Prinzip darum, eine neuartige Methode des Geldtransfers aus den Händen der Eingeweihten zu nehmen und sie der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen. Dazu braucht man aber a) Aufklärung und b) Regulierung. Jegliche Regulierung müsste allerdings so ausfallen, dass das Geldsystem keiner zentralistischen Macht wie einem Unternehmen oder einer Regierung unterliegt. Eine Art Peer-to-Peer-Regulierung wäre also denkbar, ermöglicht durch Blockchain-Anwendungen. Die politisch Verantwortlichen können sich nicht der Aufgabe entziehen, die Chancen und Risiken von Kyptowährungen zu analysieren und sinnvolle Regeln für diesen Markt zu setzen und die Gesellschaft über die Technologie, aber auch die notwendigen Regelungen aufzuklären.

Welche Vorteile ergeben sich für den Staat durch den Einsatz von Kryptowährungen?

Auch Regierungen wollen finanziell von Kryptowährungen profitieren. Das Bankenparadies Schweiz etwa erleichtert es inzwischen Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Kryptowährungen basiert, Kapital aufzunehmen und so die sonst strengen Regeln zu umgehen. Die Gründe dafür könnten mit (langfristigen) finanziellen Vorteilen zusammenhängen und Teil einer neuen Industriepolitik sein.

Wo stehen wir in diesem Prozess?

Bisher hinken die Regierungen weltweit der Marktdynamik hinterher. Damit Kryptowährungen einen globalgesellschaftlichen Nutzen entfalten können, wäre es ideal, wenn nicht jedes Land seine eigenen Gesetze machte, sondern es hier zu Kooperationen käme. So könnten gesetzliche Unterschiede vermieden und kriminelles Handeln unterbunden werden. Wollen Regierungen Kryptowährungen nicht einfach komplett verbieten, so wie es jüngst der chinesische Zentralrat beschloss, könnte ein kluger Technikeinsatz und kluge Regulierung mehr positive als negative Effekte herbeiführen.

Zur Person:

Gisela Schmalz studierte in Bonn, Berlin und New York Philosophie und Wirtschaftswissenschaften. Seit 2005 lehrt sie an einer Fachhochschule in Köln Strategisches Management und Wirtschaftsethik. Zuvor arbeitete sie als freie Fernsehautorin für die Sender NTV, RBB und 3Sat, als Filmkritikerin und als Programmiererin für Filmfest Hamburg und Film Festival Cologne.

Sie ist Mitgründerin der politischen Plattform Respublica e. V., forschte im Rahmen der Projekte "Google Collaboratory" und Ethisch-Ökologisches Rating und verantwortete Konzept und Aufbau der Unternehmensdatenbank mediadb.eu. Derzeit leitet sie die "Fokusgruppe Künstliche Intelligenz" der "Deutschen Gesellschaft für Philosophie".

Gisela Schmalz schreibt wirtschafts-, technologieund gesellschaftskritische Sachbücher. Zuletzt erschien ihr Buch "Mein fremder Wille. Wie wir uns freiwillig unterwerfen und die Tech-Elite kassiert".

Die Kurzversion dieses Artikels stammt aus der Unizeitung wissen