Goethe-Universität - Fragendes Denken

2018 jährt sich das Todesdatum des berühmten Marburger Neukantianers Hermann Cohen zum 100. Mal, das Erscheinen seines posthum veröffentlichten großen Werkes Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums liegt 2019 ein Jahrhundert zurück. Aus diesem Anlass findet an der Goethe-Universität

vom 28. bis 30. Oktober im Casino-Gebäude, Raum 823 und 1.801, am Campus Westend

der große internationale Kongress mit dem Titel „Die Zukunft des kritischen Idealismus: 100 Jahre nach Hermann Cohen“ statt. Die Veranstaltung befasst sich mit der Gegenwartsund Zukunftsbedeutung der philosophischen Perspektiven des jüdischen Denkers im Bereich der ästhetik, Erkenntnistheorie, Ethik und Religion statt. Veranstalter ist die Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie am Fachbereich Evangelische Theologie.

Hermann Cohen war einer der bedeutendsten Vertreter eines kritischen Idealismus und liberalen jüdischen Denkens im 19. und frühen 20.Jahrhundert. Cohens Neukantianismus forderte in Anlehnung an den Kategorischen Imperativ Kants: „Mache Dir die Selbstgesetzgebung in der Person eines jeden Menschen zum Zwecke“. Der Marburger Neukantianismus nutzte die Philosophie Kants dazu, um ein politisches und soziales Programm zu begründen, das dem Sozialismus nahestand. Cohen trat vor einer breiteren öffentlichkeit vor allem für das Recht der Juden ein, auch ohne die christliche Taufe Deutsche sein zu können. Denn für ihn war der ethische Idealismus, den er von Kant theoretisch begründet sah, in der deutschen Kultur ebenso verankert wie in der jüdischen Religion, der „Glut des sittlichen Enthusiasmus der Propheten“.

Der Kongress geht der Frage nach, ob die Perspektiven des Philosophen zum Zusammenhang von Vernunft, Religion und Ethik auch für aktuelle Diskurse relevant sein können. Fast vierzig Referentinnen und Referenten aus dem In- und Ausland und aus unterschiedlichen Disziplinen (Philosophie, Judaistik, Theologie) ermöglichen es, mehrere Stränge der Cohen-Forschung miteinander ins Gespräch zu bringen: die allgemeine philosophische und philosophiegeschichtliche Forschung zum facettenreichen Phänomen des Neukantianismus und die Erforschung der deutsch-jüdischen Dimension von Cohens Denken.

Leitmotiv des Kongresses ist die Frage nach der orientierenden Bedeutung des Denkens und der damit verbundenen Rolle der Wissenschaft. Auf welche Weise legt wissenschaftliches Denken Rechenschaft über die Erkenntnis und über sich selbst ab? Wie ist der Denkprozess zu verstehen - als Produktion feststehenden Wissens oder als beständiger Akt des Fragens und Hinterfragens? Was bedeutet es für gegenwärtige wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Debatten, wenn man Cohens Deutung der Philosophie als fragendes Denken folgt, das unterwegs ist zur Beantwortung der klassischen Fragen nach dem Wissen, nach dem Tun, dem Hoffen, und dem Sein des Menschen, und zwar dialogisch und kommunikativ, bestimmt durch seinen offenen, beweglichen, fragmentarischen Charakter? Was bedeutet dies für religiöse und philosophische Konflikte über Wahrheit und Werte, für die Spannung von Pluralität und Differenz in der globalisierten Gesellschaft?

Die Vorträge gehen den unterschiedlichen Facetten von Cohens kritischen Idealismus im Bereich der ästhetik und der Erkenntnistheorie nach, aber auch der Ethik und der Geschichte. Musik und Kunst spielen dabei ebenso eine Rolle wie Logik und Mathematik oder Sozialtheorie. Der religionsphilosophische Teil des Kongresses befasst sich mit Cohens Bestreben, einen zeitgemäßen, für die Herausforderungen des frühen 20. Jahrhunderts bedeutsamen Begriff der Religion zu entwickeln. Thematisiert werden zentrale Aspekte wie sein Verständnis des Verhältnisses von Judentum und Vernunft, seine Auseinandersetzung mit dem Christentum, sein philosophisches Verständnis der Bibel, seine Deutung messianischer Erlösung sowie seine religiös begründete Sozialkritik.

Der Kongress ist Teil der Forschungen der Martin-Buber-Professur zur Philosophie jüdischer Denker des 19. und 20. Jahrhunderts. Mitorganisatoren sind die Hermann-Cohen-Gesellschaft, das interdisziplinäre Frankfurter Graduiertenkolleg „Theologie als Wissenschaft“, der von Prof. Christian Wiese geleitete LOEWE-Forschungsschwerpunkt „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“, der nach der Pluralismusfähigkeit der drei monotheistischen Religionen und ihrer Rolle in der modernen Gesellschaft fragt, das Frankfurter Institut für Religionsphilosophische Forschung und die philosophische Fakultät der Università degli Studi di Torino.

Ausgewählte Termine:
Sonntag, 28. Oktober, 18:00 Uhr
„Die Zukunft des kritischen Idealismus: Reflexionen über das Denken“
Keynote-Vortrag von Andrea Poma (Università degli Studi di Torino)

Montag, 29. Oktober, 9:00 Uhr
„Critical Idealism in an Age of Identity Politics: Cohen’s Ethic of Minority“
Keynote-Vortrag von Paul Nahme (Brown University)

Mittwoch, 31. Oktober, 9:00 Uhr (Casino Festsaal)
„Hermann Cohens Reflexionen über das Judentum im Kontext seiner Positionierung gegenüber dem Christentum“
Keynote-Vortrag von Christian Wiese (Goethe-Universität)