Die US-Präsidentschaftswahl stellt Europa vor zentrale Herausforderungen - bei jedem Ausgang. Ein Gastbeitrag von Thomas Dietz
Bei der US-Präsidentschaftswahl am 5. November heißt es Kamala Harris gegen Donald Trump, Demokraten gegen Republikaner. Das Land ist gespalten wie nie. Aber auch aus europäischer Sicht ist die Wahl eine Richtungsentscheidung, die tiefgreifende Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen, die NATO und die globale Sicherheit haben könnte.Mit einem erneuten Wahlsieg würde Trump wahrscheinlich seine "America First"-Politik fortführen, was in Europa große Besorgnis auslöst. Trump betont immer wieder seine Skepsis gegenüber der NATO und bezweifelt ihren Wert für die Amerikaner. Die Aussicht eines reduzierten NATO-Engagements der USA bedroht die europäischen Sicherheitsstrukturen. Trump könnte die militärische Abhängigkeit Europas von den USA als Druckmittel nutzen, um die europäischen Nationen zu höheren Militärausgaben zu drängen oder aber auch wirtschaftliche Deals nach seinen Vorstellungen durchzusetzen. Diese Politik könnte die Abschreckungsfunktion der NATO empfindlich schwächen und Gegner wie Russland ermutigen, ihre Aggressionspolitik auszuweiten.
Trump hat sogar wiederholt die Möglichkeit des NATO-Austritts der USA angedeutet. Dies würde das Bündnis, das seit dem Zweiten Weltkrieg die Grundlage für die europäische Sicherheit bildet, faktisch beenden. Insbesondere für die Ukraine ist die US-Unterstützung entscheidend im Kampf gegen den russischen Angriff. Ein Rückzug oder eine geringere Beteiligung der USA könnte Europa zwingen, sich auf eigene Verteidigungsstrukturen zu konzentrieren, die noch nicht ausreichend ausgebaut sind.
Die Außenwirtschaftspolitik einer möglichen zweiten Regierung Trump weckt in Europa ebenfalls Besorgnis. Trump betont immer wieder seine Absicht, Steuerentlastungen oder einen verschärften Grenzschutz allein durch Einnahmen aus höheren Zöllen zu finanzieren. Weitere Zollerhöhungen, die in Trumps erster Amtszeit auch die engsten Verbündeten der USA betrafen, könnten die EU empfindlich treffen. Schließlich ist zu erwarten, dass Trump die konfrontative Politik gegenüber China verschärft und damit auch die EU unter Zugzwang setzt, sich wirtschaftlich weiter von China zu entkoppeln. Das Exportland Deutschland würde dieser Schritt wirtschaftlich vor große Herausforderungen stellen.
Kamala Harris ist aus Sicht vieler europäischer Staatsund Regierungschefs die beruhigendere Alternative. Sie gehen davon aus, dass Harris das Engagement der USA für die kollektive Verteidigung aufrechterhalten und die transatlantische Partnerschaft fortführen wird. Harris hat wiederholt ihre starke Unterstützung für die NATO und die Verteidigung der Ukraine betont, was klar im Sicherheitsinteresse der europäischen Staaten liegt.
Doch auch eine mögliche Präsidentschaft Harris’ bringt Unsicherheiten für Europa mit sich. Präsident Joe Biden ist ein ausgemachter Transatlantiker. Die Außenpolitik seiner Generation hatte einen starken Fokus auf Europa. Die Wahl Kamala Harris’ würde nicht nur einen Generationswechsel bedeuten. Inhaltlich könnte die bereits unter Ex-Präsident Barack Obama sichtbare Konzentration auf Asien zunehmen und die klassischen transatlantischen Beziehungen in den Hintergrund rücken lassen.
Zwar ist nicht davon auszugehen, dass Harris fundamental von den Grundsätzen der Außenpolitik Bidens abweichen wird. Aber ihre Verbindungen zu den politischen Eliten Europas sind insgesamt weniger ausgeprägt als die Bidens. Dies könnte Europa in eine Konkurrenzsituation um die Aufmerksamkeit der USA bringen, insbesondere wenn die Spannungen mit China zunehmen.
Europäische Sicherheitsexperten sind sich daher weitgehend einig: Europa muss seine eigenen Verteidigungsfähigkeiten stärker ausbauen. Der Krieg gegen die Ukraine macht deutlich, wie sehr Europa auf die militärische und nachrichtendienstliche Unterstützung der USA angewiesen ist. Sollte Trump wieder an die Macht kommen, könnte Europa mit einem stärker isolationistischen Amerika konfrontiert werden und müsste neue Sicherheitsherausforderungen eigenständig bewältigen. Präsidentin Harris würde Europa dagegen möglicherweise mehr Zeit geben, seine Verteidigungsstrukturen zu stärken und sich auf zukünftige Krisen vorzubereiten. Die globale Zusammenarbeit in der Klimapolitik, Cybersicherheit und der Weiterentwicklung der künstlichen Intelligenz würde eine Präsidentin Harris vermutlich fortsetzen, was klar im Sinne der EU-Staaten wäre. Insbesondere ein erneuter Kurswechsel in der US-Klimapolitik unter Präsident Trump könnte die globalen Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel erschweren und Europa in seiner Vorreiterrolle auf diesem Gebiet isolieren.
Letztlich aber wird die Konkurrenz um die globale Vorherrschaft zwischen China und den USA die Geopolitik der nächsten Jahre prägen - unabhängig davon, wer das Präsidentenamt in den USA innehat. Die USA werden von ihren Verbündeten erwarten, sich stärker von China zu lösen, insbesondere was die Handelsvolumina und den Technologietransfer angeht. Es bleibt eine zentrale Herausforderung für Europa, politische Strategien zu entwickeln, um in diesem Transformationsprozess zusammenzuhalten und europäische Interessen eigenständig zu vertreten.
Autor Dr. Thomas Dietz ist Professor für internationale Beziehungen und Recht am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen