Klimakrise, Bauernproteste, erstarkende rechte Parteien, Dauerstreit in der Regierung, Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten: Die Krise wird zum Dauermodus in Politik und Gesellschaft. Hat angesichts der gewaltigen Herausforderungen eine sozial-ökologische Transformation Überhaupt noch eine Chance? Dieser Frage ging die BMBF-Nachwuchsgruppe ,,Mentalitäten im Fluss" (flumen) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena nach.
Die Forscherinnen und Forscher am Institut für Soziologie haben deutschlandweit 4.000 Menschen befragt, um ihre Sichtweisen, Einstellungen und Gefühlslagen bezüglich des gesellschaftlich-ökologischen Wandels zu erfahren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Meinungen teils eklatant auseinandergehen bei der Frage, ob, wie schnell und in welcher Form eine sozial-ökologische Transformation notwendig ist. Die Meinungen hängen stark mit der sozialen Lage der Befragten und den damit verbundenen Interessen zusammen. Die Gruppe ,,flumen" wertet ihre Ergebnisse als neuen sozial-ökologischen Klassenkonflikt.
Zehn Mentalitäten in drei Spektren kristallisieren sich heraus
,,Bei der Befragung kristallisierten sich entlang mehrerer Konfliktdimensionen zehn Mentalitäten heraus, die sich in drei Mentalitätsspektren bündeln lassen", sagt Martin Fritz, der die ,,flumen"-Nachwuchsgruppe seit April dieses Jahres leitet. Jedes Spektrum lasse sich mit spezifischen Positionen im sozialen Raum in Verbindung bringen, so Dr. Fritz weiter.
Im Einzelnen konstatieren die Forscherinnen und Forscher ein ökosoziales Spektrum, das zügige und entschlossene Transformation fordert und vorwiegend in bildungsbasierten mittleren und höheren Sozialpositionen zu finden ist, während das eher in eigentumsbasierten Sozialpositionen zu findende konservativ-steigerungsorientierte Spektrum die gewohnte, auf Wachstum fixierte Lebensund Wirtschaftsweise verteidigt. Das dritte Spektrum herrscht in benachteiligten Sozialpositionen vor und wird als defensiv-reaktiv beschrieben; es ist geprägt von Resignation und Rückzug bis hin zu wütender Abwehr gegen ,,grüne" und transformative Initiativen.
Das Zusammenspiel von Mentalitätsspektren und Sozialpositionen lässt sich an verschiedenen Konfliktdimensionen verorten. Da gebe es etwa den Konflikt zwischen ,,Oben" und ,,Unten", wobei sich die Menschen im unteren Sozialraum von gesellschaftlichen Steigerungserwartungen und beschleunigten Veränderungsprozessen Überfordert sehen.
,,Das befördert in dieser Gruppe Ressentiments und regressive Abwehrbewegungen gegen ’die da oben’", sagt Martin Fritz. Es entstehe das Gefühl, von der Gesellschaft ,,entfremdet" zu sein. Ein weiterer Konflikt bezieht sich auf den Gegensatz zwischen privaten Eigentumsinteressen und dem Bedarf an öffentlich geteilter Infrastruktur.
Außerdem konstatieren die Jenaer Forscherinnen und Forscher einen Veränderungskonflikt, der sich an der Frage entzündet, ob Transformation Überhaupt notwendig ist, wie weit sie gehen soll und wer die Kosten dafür trägt. Schließlich wird ein Externalisierungskonflikt diagnostiziert, der sich um die Kostenauslagerung der bisherigen fossilen Lebensweise dreht.
Repräsentative Studie
In der Studie wurden Ende 2021/Anfang 2022 insgesamt 4.000 per Zufall ausgewählte Personen befragt. Die Daten sind hinsichtlich Alter, Geschlecht, Wohnort und Schulabschluss repräsentativ für die Gesamtbevölkerung Deutschlands. Im Vergleich zu ähnlichen Untersuchungen ist ein interessanter Unterschied bei dieser Studie, dass für den Streit um Transformation weder eine Polarisierung noch ein breiter Konsens in der Gesellschaft konstatiert wird, sondern eine Dreiecksbeziehung zwischen den genannten drei Spektren, welche sowohl das Potenzial für verschiedene Allianzen als auch Gefahren der politischen Radikalisierung enthält. Die Ergebnisse der Studie liegen als kompakter Forschungsbericht vor und werden im Sommer als ausgearbeitetes Buch veröffentlicht.