Live-Experiment zur zweiten Kanzler-Debatte

Wahrnehmungsprozesse und Urteilsbildung von Wählern als Forschungsgegenstand: Di
Wahrnehmungsprozesse und Urteilsbildung von Wählern als Forschungsgegenstand: Die Abbildung zeigt die Bewertung der Debattenstrategien. Abbildung: Universität Koblenz-Landau/ Jürgen Maier

Die Universität Koblenz-Landau, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) und die Technische Universität Kaiserslautern haben Wahrnehmung und Wirkung der zweiten TV-Debatte 2021 - dem Triell zwischen den Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) - untersucht. Die Hauptergebnisse des Live-Experiments mit mehr als 400 Teilnehmern: Annalena Baerbock hat das Triell klar für sich entschieden. Armin Laschet wurde noch angriffslustiger als in der ersten Debatte eingestuft. Olaf Scholz musste sich häufig verteidigen. Die Debatte hatte Einfluss auf die Kanzlerpräferenz.

Gewinnerin der TV-Debatte ist Annalena Baerbock nach Auffassung von 45 Prozent der Studienteilnehmer. Armin Laschet wurde nur von 15 Prozent, Olaf Scholz nur von 12 Prozent der Teilnehmer als Sieger benannt. 28 Prozent konnten keinen Sieger erkennen. Da die Bewertung der Debattenleistung der Kandidaten in erheblichem Maße von den parteipolitischen Grundüberzeugungen der Zuschauer beeinflusst wird, ,,lohnt sich deshalb ein Blick auf Personen, die keiner Partei nahestehen", unterstreicht Dr.   Auch 52 Prozent dieser Teilnehmer sehen Baerbock deutlich vor Scholz und Laschet. Scholz sehen 13 Prozent als Sieger, Laschet nur 9 Prozent.

Die in den Fragebögen erfassten Eindrücke korrespondieren mit den in Echtzeit über eine App abgegeben Bewertungen der Kandidaten. Wie schon in der ersten Debatte zeigen sich hier viele Passagen, in denen Laschet an Zustimmung verloren hat. Seine besten Momente hatte er, als er Olaf Scholz mit den Skandalen rund um die von ihm geführten Behörden konfrontierte. Baerbock und Scholz konnten die Zuschauer wesentlich häufiger von ihren Argumenten Überzeugen als Laschet, wobei Baerbock nahezu alle Themenblöcke für sich entscheiden konnte. Baerbock erhielt bei den Themen Digitalisierung sowie Steuern und Finanzen den stärksten Zuspruch. Scholz ist in den Augen der Zuschauer der Gewinner im Themenblock Koalitionsbildung. Von allen Kandidaten gelang ihm auch die Schlussansprache am besten.

,,Eine Erklärung für das schlechte Abschneiden von Laschet könnte die von ihm gewählte Debattenstrategie sein", so Maier. Die Studienteilnehmer nahmen den Auftritt Laschets als aggressiv wahr: 91 Prozent stimmen der Aussage zu, dass er seine Gegner häufig angegriffen hat. Damit Übertraf er den im ersten Triell gemessenen Wert von 69 Prozent deutlich. Das schlechte Abschneiden von Scholz dürfte laut Maier darauf zurückzuführen sein, dass er sich - anders als noch in der ersten Debatte - gegen Angriffe seiner Konkurrenten zur Wehr setzen musste. 84 Prozent stimmten der Aussage zu, dass er sich häufig verteidigen musste. Hinsichtlich des ersten Triells waren dies 32 Prozent.

Das Triell hat einen starken unmittelbaren Einfluss auf politische Einstellungen, so ein weiteres Ergebnis des Live-Experiments. 20 Prozent der Teilnehmer haben aufgrund der Debatte ihre Kanzlerpräferenz verändert. Vor zwei Wochen lag dieser Wert bei 21 Prozent. Der Anteil der Unentschiedenen ist im Zuge der Debatte von 25 Prozent auf 19 Prozent gesunken.

Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung vor allem aus drei Gründen von Befragungsdaten abweichen können, die bisher zum ersten TV-Triell veröffentlicht wurden: Es handelt es sich bei der Untersuchung um ein experimentelles Design. Wesentlicher Bestandteil der Untersuchungsanlage ist, dass die hier berichteten Befragungsdaten direkt vor und direkt nach der Debatte erhoben wurden. Durch den Vergleich der vor und nach der Debatte erhobenen Befragungsdaten lassen sich direkte, von interpersonaler und massenmedialer Kommunikation weitgehend unbeeinflusste Debattenwirkungen nachweisen. Zudem sind die gesammelten Daten nicht repräsentativ. Und schließlich ist die Teilnehmerzahl geringer als bei anderen Befragungen.

Zur Methode

Ziel der Studie ist es, die Wahrnehmungsprozesse und die Urteilsbildung von Wählern insbesondere während des Wahlkampfes zu erforschen. Die Stichprobe ist eine Gelegenheitsstichprobe. 66 Prozent der Teilnehmer sind männlich. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmer beträgt 34 Jahre, das Minimum 18, Maximum 70 Jahre. 80 Prozent der Teilnehmer verfügen über (Fach-)Abitur. Sieben Prozent haben eine Parteiidentifikation mit der CDU/CSU, 14 Prozent mit der SPD, fünf Prozent mit der FDP, acht Prozent mit den Linken, 34 Prozent mit Bündnis 90/Die Grünen, ein Prozent mit der AfD und zwei Prozent mit einer anderen Partei. 30 Prozent haben keine Parteibindung. Um Unterschiede in der Beteiligung der verschiedenen parteipolitischen Gruppen auszugleichen und damit einhergehende Verzerrungen der Untersuchungsergebnisse zu reduzieren wurden drei gleichgewichtete politische Lager gebildet: links, rechts, unabhängig.

Insgesamt haben 438 Personen an der nicht repräsentativen Studie teilgenommen. Für das Experiment wurde eigens eine App entwickelt. Diese basiert auf Softwaretechnologien der coneno GmbH , einem DFKI Spin-Off, das Systeme zur Durchführung von dynamischen, partizipativen Studien entwickelt. Das Entwicklerteam von coneno hat in enger Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern das System speziell für diese Studie um Komponenten zur Echtzeitdatenanalyse erweitert. Dadurch ist es möglich, dass Teilnehmer die Kandidaten während der Debatte von zu Hause mit ihrem Smartphone permanent und in Echtzeit bewerten. Mithilfe von Fragebögen konnten sie ihre zusammenfassenden Meinungen vor und nach dem Duell abgeben. Die App wurde schon bei der ersten TV-Debatte verwendet und wird auch beim letzten Triell am 19. September 2021 eingesetzt.

Weitere Informationen zur Studie sind unter fernsehdebatte.uni-landau.de nachzulesen.