Quantensysteme schwingen genauso wie klassische Pendel nach kurzer Zeit im Takt
Wie von Geisterhand können scheinbar unabhängige Pendeluhren sich zu einem gleichzeitigem, synchronen Ticken zusammenfinden. Das Phänomen der ‘selbstorganisierten Synchronisation’ kommt oft in Natur und Technik vor und ist ein Kernforschungsgebiet von Marc Timmes Team am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation. Die Göttinger sind Teil einer deutsch-italienischen Kollaboration, die nun in ‘Nature Communications’ eine verblüffende Entdeckung veröffentlicht hat: Auch Quantensysteme können sich selbstorganisiert synchronisieren, ohne Steuerung von außen. Diese Synchronisation manifestiert sich dann in der merkwürdigsten Eigenschaft der Quantenwelt - der Verschränkung.
Mehrere Pendeluhren können sich wie von Geisterhand auf eine Schwingungsfrequenz synchronisieren, wenn sie eine gemeinsame Aufhängung haben. Dieses Phänomen beobachtete Christiaan Huygens 1665 zum ersten Mal.
Im Jahr 1665 arbeitete der niederländische Forscher Christiaan Huygens (1629-1695) an einer neuartigen Schiffsuhr. Damals waren Pendeluhren Stand der Technik, und ein speziell geformtes Pendel sollte weniger empfindlich auf das Schwanken der Schiffe reagieren. Möglichst präzise Schiffsuhren waren der Schlüssel zu einer genauen Bestimmung des Längengrads. Huygens hatte zur Sicherheit zwei seiner Pendeluhren in ein schweres Gehäuse eingebaut, das so aufgehängt war, dass es die Schaukelei des Schiffs weitgehend ausgleichen sollte. An dieser aufwendigen Konstruktion beobachtete er nun ein verblüffendes Phänomen: Obwohl die Uhren unabhängig voneinander liefen und keinem äußeren Einfluss unterlagen, schwangen ihre Pendel spätestens eine halbe Stunde nach jedem Neustart exakt synchron.
Huygens vermutete damals schon, dass die beiden Pendel sich über winzig kleine, ‘nicht wahrnehmbare Bewegungen’ in der gemeinsamen Aufhängung der beiden Uhren synchronisierten. Damit lag er richtig, wie Physiker später für solche schwingenden Systeme zeigen konnten. ‘Auch an mehr als zwei solcher Uhren oder anderen schwingenden Objekten kann man beobachten, dass sie sich ohne äußeren Einfluss gegenseitig synchronisieren können’, erklärt Marc Timme, Theoretischer Physiker am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Der Professor leitet dort eine Forschungsgruppe, die sich mit der Dynamik von Netzwerken beschäftigt, zum Beispiel analysiert sie das Verhalten von Stromnetzen.
Eine gemeinsame Aufhängung bringt Pendel in Takt
Die selbstorganisierte Synchronisation von scheinbar unabhängigen Schwingern auf eine Frequenz lässt sich in vielen Systemen in Natur und Technik beobachten. Voraussetzung ist eine oft ‘versteckte’ Kopplung, zum Beispiel bei Pendeluhren über eine gemeinsame Aufhängung. Wissenschaftler wie Timme sprechen auch von einem Lock-in-Verhalten, das dafür sorgt, dass alle beteiligten Schwinger sich auf exakt eine Frequenz einschaukeln und dann in dieser gefangen bleiben. Tatsächlich funktioniert dies auch bei Kinderschaukeln, die an einem gemeinsamen Balken aufgehängt sind. Stößt man sie aus verschiedenen Anfangspositionen an, dann pendeln sie sich irgendwann auf eine Frequenz ein.
Die Beispiele beschränken sich nicht nur auf mechanische Schwingungen. ‘Das gibt es auch in vielen verschiedenen biologischen Netzwerken’, erklärt Timme: ‘Im Gehirn tritt das Phänomen bei der Synchronisation von Nervenimpulsen auf.’ Diese Synchronisation von Hirnstromwellen in bestimmten Arealen scheint wichtig für das Funktionieren unseres Denkorgans zu sein. Sie kann aber auch zu viel bewirken. ‘Großskalige, also weitreichende Synchronisation von Hirnstromwellen im Gehirn ist charakteristisch für Epilepsie’, sagt Timme.
Quantenteilchen synchronisieren sich ohne äußeren Einfluss
Links schwingen Pendel nicht synchronisiert, rechts haben sie sich von selbst zu einem synchronisierten Schwingen organisiert. Bei Quantensystemen kann eine solche klassische Synchronisation der ‘rauchende Colt’ für Verschränkung sein. Diese Vorhersage der deutsch-italienischen Kollaboration um Marc Timme und Dirk Witthaut lässt sich im Labor überprüfen.
Alle diese selbstorganisierten Ordnungsphänomene basieren aus Sicht der Physik auf den Grundlagen der klassischen Welt. Doch eine deutsch-italienische Forschungskollaboration entdeckte nun Synchronisation in der Quantenwelt. Initiiert hat diese Kollaboration Marc Timme zusammen mit seinem ehemaligen Postdoktoranden Dirk Witthaut, der inzwischen eine unabhängige Forschungsgruppe am Forschungszentrum Jülich leitet. Die konzeptionell neue Arbeit wurde nun in der renommierten Zeitschrift Nature Communications veröffentlicht. Darin zeigen die Wissenschaftler erstmalig: Isolierte Systeme aus vielen Quantenobjekten wie etwa Atome eines Bose-Einstein-Kondensats, das in einem optischen Gitter gefangen ist, können sich ganz ähnlich wie klassische Systeme der Physik synchronisieren.
In einem Bose-Einstein-Kondensat, dessen experimentelle Umsetzung 2001 mit dem Physik-Nobelpreis gewürdigt wurde, verhalten sich mehrere Atome wie ein einziges Quantenobjekt, trotzdem lassen sich die einzelnen Atome in einem optischen Gitter fangen. Solch ein Gitter wird aus dem elektromagnetischen Potenzial gekreuzter Laserstrahlen aufgebaut und ähnelt einem Eierkarton aus Licht, in dem sich die Atome verteilen. Die Teilchen können sich darin völlig ohne äußeren Einfluss, also ebenfalls selbstorganisiert, synchronisieren. ‘Das ist eine zentrale Neuigkeit unserer Arbeit’, sagt Timme.
Zur Hilfe kann man sich diese schwingenden Quantensysteme wie viele Huygensche Pendeluhren vorstellen. Über einen Balken, an dem sie gemeinsam aufgehängt sind, sind die Uhren miteinander gekoppelt. Folglich schwingen ihre Pendel nach einiger Zeit miteinander synchron. Genauso synchronisieren sich die Quantensysteme gegenseitig, indem sie miteinander wechselwirken. Dieser selbstorganisierte Übergang in ein synchronisiertes Kollektiv entspricht dabei noch ganz der klassischen Physik.
Synchronisierte Quantenobjekte sind verschränkt
Aber in der Quantenwelt passiert noch mehr - auch hier entsteht ein kollektiver Zustand. Und dieser Quantenzustand steht für die Unanschaulichkeit der Quantenmechanik schlechthin: die Verschränkung. Miteinander verschränkte Quantensysteme lassen sich nicht mehr unabhängig voneinander beschreiben. In unserem Uhrenbeispiel wäre das ungefähr so, als könne man die Pendel nicht mehr einzeln erkennen - jedes Pendel würde Informationen über alle anderen in sich tragen. Alle Pendel würden sich somit zusammen wie ein Objekt, ein Quantenobjekt, verhalten. ‘Klassische Synchronisation ist der ,rauchende Colt’ für das Entstehen quantenmechanischer Verschränkung’, sagt Dirk Witthaut, Erstautor der Studie, ‘und das ist äußerst erstaunlich.’
Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf das faszinierende Phänomen der Verschränkung. Verschränkte Systeme werden seit Jahrzehnten routinemäßig in vielen Physiklabors hergestellt. Doch es geht nicht nur um Grundlagenforschung. Längst arbeitet das Forschungsgebiet der Quanteninformation daran, Verschränkung als technische Ressource zu nutzen, sei es in zukünftigen Quantencomputern oder bei der abhörsicheren Übertragung von Information. Die deutsch-italienische Kollaboration macht in ihrer Arbeit zudem konkrete Vorschläge, wie sich die selbstorganisierte Synchronisation eines Quantenkollektivs im Labor nachweisen ließe. Man darf also gespannt sein, in welcher Form das Phänomen sich tatsächlich zeigt und wie es die weitere Forschung inspiriert.
Für Marc Timme ist diese Arbeit auch ein Beleg dafür, wie wichtig die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen ist, um solche Entdeckungen zu machen. Er selbst ist Experte für die Dynamik klassischer selbstorganisierender Systeme und insbesondere Synchronisation. Seine Forschungsgebiete heißen in der Physik ‘Nichtlineare Dynamik’ und ‘Netzwerk-Dynamik’, ersteres wurde als ‘Chaostheorie’ weithin bekannt. Dirk Witthaut kommt dagegen aus der Quantenphysik. Die intensive Zusammenarbeit beider Denkschulen der Physik führte erst zu der Entdeckung, dass klassische Synchronisation in der Quantenwelt etwas mit quantenmechanischer Verschränkung zu tun hat. ‘Oft ist es aber sehr schwer, gerade solche interdisziplinären Projekte zu finanzieren und durchzuführen, weil sie sich keiner der traditionellen Disziplinen zuordnen lassen’, urteilt Timme. Der Göttinger Erfolg war nur möglich, weil die Max-Planck-Gesellschaft diese interdisziplinäre Forschung langfristig und zweckfrei unterstützt hat.
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