Vom Labor auf die Straße

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Vom Labor auf die Straße: Hochautomatisiertes Forschungsfahrzeug (SAE-Level 4) bereit für die Erprobung im Verkehr

Ob für den Weg zum Arzt, den Einkauf oder für das Pendeln zur Arbeit: Im Alltag sind viele Menschen auf den öffentlichen Personennahverkehr angewiesen. Doch gerade in ländlichen Räumen stößt der ÖPNV oft an seine Grenzen. Um diese Gegenden besser mit der Stadt zu verknüpfen, erforscht das Thüringer Innovationszentrum Mobilität (ThIMo) an der TU Ilmenau im Rahmen der Forschungsoffensive ,,Digitale Mobilität" bedarfsgerechte zukunftssichere Lösungen. Gemeinsam mit der Stadt Ilmenau und regionalen Wirtschaftsunternehmen wurde nun ein Meilenstein auf diesem Weg erreicht: ein Forschungsfahrzeug mit Automatisierungs-Level 4 auf ausgewählten Strecken im öffentlichen Straßenverkehr zu testen. Am 27. November wurde es als ein zentrales Ergebnis des Projekts P:Mover im Rahmen der Abschlussveranstaltung an der TU Ilmenau vorgestellt.

Acht Radar-Sensoren, acht Kameras, zwei LIDAR-Sensoren an Front und Heck und ein Sensor mit Rundumsicht auf dem Dach - zusammen mit Multi-Standard-Funkmodulen und intelligenter Datenverarbeitung und Rechentechnik ermöglichen sie einen fahrerlosen Betrieb des Forschungsfahrzeugs auf vorgegebenen Strecken mit Geschwindigkeiten bis zu 60 km/h. Die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Leitstellen wird im gesamten Stadtgebiet durch eine gute Abdeckung mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G sichergestellt. Mit Hilfe von 5G können Fahrgäste auch in Echtzeit Über aktuelle Fahrtzeiten informiert, der Zustand der öffentlichen Straßen überwacht und der Verkehrsfluss an Knotenpunkten im Stadtgebiet erfasst werden, um Fahrzeiten zu verkürzen und Emissionen zu reduzieren. Für das ambitionierte Vorhaben, von dem perspektivisch Regionen in ganz Deutschland profitieren können, war die Universitätsstadt Ilmenau 2021 vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur als 5G-Pionierregion ausgewählt worden.

,,Ein schneller Schritt in eine Generation des automatisierten Fahrens"

Das Projekt P:Mover, eine Abkürzung für ,,5G-Pionierregion: Mobilitätslösungen im suburbanen Raum vernetzen", ist Teil einer ganzen Projektfamilie zum automatisierten und vernetzten Fahren, in der das ThIMo gemeinsam mit Forschungspartnern, Industrie, ÖPNV-Unternehmen sowie Thüringer Landkreisen und Städten Lösungen für die smarte Mobilität in ländlichen Räumen entwickelt. Vor dem Hintergrund von Klimawandel, demografischer Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe wollen die Partner so die Lebensqualität erhöhen. Bereits 2022 hatten Ilm-Kreis und IOV Omnibusverkehr GmbH mit Unterstützung durch das ThIMo und die Stadt Ilmenau im Projekt CAMIL zwei nach Level 3 automatisierte Kleinbusse erfolgreich in den Linienbetrieb zwischen dem Bahnhof und dem Campus der TU Ilmenau überführt.

,,Die Ergebnisse, die wir seitdem mit dem Kai-Uwe Sattler anlässlich der Abschlussveranstaltung:

Zum einen konnten wir hier gemeinsam einen schnellen Schritt von Level 3 auf Level 4 in eine neue Generation des automatisierten Fahrens machen.


Und das, obwohl die anspruchsvollen topographischen und klimatischen Bedingungen im Thüringer Wald die Projektpartner vor besondere Herausforderungen stellte. Besonders bemerkenswert sei aber auch die Art der Zusammenarbeit der Projektpartner - der Stadt Ilmenau, die das Projekt koordinierte, dem Thüringer Innovationszentrum Mobilität (ThIMo) sowie den beiden Unternehmen Funkwerk und Ginger Lehmann+Partner - zum Wohle der Menschen in der Region gewesen:

Als technische Universität konnten wir dabei zwei unserer Forschungsprofillinien miteinander verbinden: Unsere Expertise in intelligenter Sensorik und in datenintensivem Engineering, das heißt für die Entwicklung komplexer Systeme und das Management von Daten.

Forschung im Reallabor erlebbar

Ziel des Projekts war es laut Ilmenaus Oberbürgermeister Dr. Daniel Schultheiß aber auch, die gemeinsame Forschung in die öffentlichkeit zu tragen und in Zusammenarbeit mit den Praxispartnern in einem Reallabor erlebbar zu machen. Christoph Marquardt vom Büro autoBus, der die Forschung mit seiner Expertise im Bereich vernetzter ÖPNV begleitet, beschreibt die Zusammenarbeit der Projektpartner als beispielhaft:

Zu einer starken Hochschule gehört auch eine starke Stadt. Ich erlebe es selten, dass ein Oberbürgermeister so viel persönliches Engagement in Forschung steckt und diese vorantreibt.


Der Erprobungseinsatz des Fahrzeugs in Ilmenau ist zunächst auf den beiden Strecken zwischen Busbahnhof - Campus - Berufsschulzentrum ,,Am Ehrenberg" sowie dem Gewerbegebiet ,,Am Vogelherd" geplant. Durch den gegenüber CAMIL deutlich höheren Automatisierungsgrad wird das Fahrzeug von Beginn an mit ortsüblicher Geschwindigkeit unterwegs sein. Zunächst sitzt bei jeder Fahrt dennoch ein geschulter Sicherheitsfahrer an Bord, der jederzeit das Steuer übernehmen kann.

5G und Level 4 zusammengebracht

Auch ThIMo-Direktor Prof. Matthias Hein ist begeistert von den erreichten Ergebnissen: Das P im Projekt P:Mover stehe nicht nur symbolisch für die Pionierarbeit, die geleistet wurde, sondern auch für die Menschen, für die das Projekt Perspektiven geschaffen habe, die Partner, die es bewegt habe, und die Prozesse, die mit dem

Dafür war das Forschungsfahrzeug, das auf einem VW Multivan T7 mit Hybridantrieb basiert, zunächst durch die IAV GmbH mit der erforderlichen Hardware und Software umgerüstet und gemeinsam von der Stadt Ilmenau und dem ThIMo beschafft worden. Professor Hein erklärt:

So sorgen die Umgebungssensoren in Verbindung mit der Kommunikationsund Rechentechnik für die Erfüllung der Aufgaben, die sonst der menschliche Fahrer übernimmt. Nur damit kann am Ende die Sicherheit im Fahrbetrieb auf ausgewählten Fahrstrecken gewährleistet werden.


Die Verfügbarkeit des Fahrzeugs verbindet die neue Stufe der Fahrautomatisierung nach Level 4 mit den neuen Möglichkeiten, die der Mobilfunkstandard 5G bietet. Professor Hein:

Damit sind wir auf einem Level, auf dem wir mit anderen Projekten mithalten und Ilmenau zu einer Smart City weiterentwickeln können.


Dazu gehöre beispielsweise auch die intelligente Verkehrsflusssteuerung, für die das ThIMo bei P:Mover ebenfalls das Fundament legen konnte.

Fortschritt durch 5G

Das Professor Hein:

Tageund wochenlang ist das P:Mover-Projektteam des ThIMo zu Fuß durch die Stadt gelaufen und in Linienbussen gefahren, um durch neuartige Messverfahren herauszufinden: Wie sieht es mit den 5G-Immissionen der Bevölkerung aus und wie weit sind wir von den zulässigen Grenzwerten entfernt’ Gleichzeitig haben wir Simulationen durchgeführt, um auf der Basis hochgenauen Kartenmaterials einen digitalen Zwilling zu erstellen, mit dem digitale Immissionsprognosen getroffen werden können, und den das Fahrzeug nutzen kann, um sich im Straßenverkehr zu orientieren.


Außerdem wurden zwei 5G-basierte Fahrgastinformationssysteme am Bahnhof und auf dem Campus installiert, die einen weiteren Nutzen des Mobilfunks bieten. Um die Stadt Ilmenau im Umgang mit dem Thema Mobilfunk und Strahlenschutz zu unterstützen, wird derzeit mit Expertise von Christian Bornkessel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am ThIMo und Mitglied der Deutschen Strahlenschutzkommission, eine Handreichung erarbeitet.

Einsatz und Integration in Fahrpläne auch in anderen Regionen geplant

Die Ergebnisse von P:Mover bilden nun den Ausgangspunkt für Anschlussvorhaben wie das Projekt MOVEwell -,,Mobilitätsverbund werthaltige ländliche Lebensräume" - in dem das ThIMo gemeinsam mit der Bauhaus-Universität Weimar und besonderen Bedarfsträgern wie dem Zentralklinikum Bad Berka, der Arbeiterwohlfahrt Saalfeld und der Stadtwirtschaft Weimar Mobilitätslösungen erarbeitet. Diese Arbeiten werden durch die Landesregierung unterstützt und sollen in ein Thüringer Leitbild Mobilität münden. Dabei geht es perspektivisch auch darum, integral getakteten Linienbusverkehr durch autonom fahrende Rufbusse zu ergänzen. Constantin Pitzen vom Büro autoBus skizzierte bei der Abschlussveranstaltung zum P:Mover- Tim Alscher von der IAV GmbH eröffnete aus der Sicht der Fahrzeugindustrie Perspektiven für serientaugliche Level 4-automatisierte Busse, die den ÖPNV der Zukunft modernisieren könnten.

Zum Projektvideo ,,Smarte Mobilität in ländlichen Räumen - von einer Forschungsidee zum Reallabor"