Podcast: Wie Museen koloniale Vorstellungen abbauen können. Mit Julia Binter

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Jun.- Julia Binter untersucht kooperative Forschung zu Kulturgütern aus kolonialen Kontexten in Museen. Sie begleitet die Restitution von Kulturgütern von Deutschland nach Namibia mit der Frage: Wie kann man Wissensbildung in Museen und Kulturerbe nachhaltiger und gerechter gestalten? Die deutsche Kolonialgeschichte prägt noch heute unser Verständnis von namibischer Kunst. Die zurückgeführten Kulturgüter erzählen dabei ihre eigene Geschichte.
Wir haben auch mit einer Expertin aus Namibia, Golda Ha-Eiros, gesprochen, die eindrucksvoll erzählt, welchen Wert diese Kulturgüter für ihre Vorfahren, für sie selbst und die nächsten Generation haben.

Jun.- Julia Binter

In Deutschland geht es um eine Vergegenwärtigung und eine Kritik an Kolonialismus und vor allem an den kolonialen Gräueltaten, die Namibia und Deutschland verbindet, also auch um eine Tätergeschichte. Und in Namibia geht es um eine Neuschreibung der Geschichte aus namibischen Perspektiven. Und in dieser Neugeschichtsschreibung ist Deutschland eigentlich nur eine Fußnote.

 

Thea Fabian

Schaut man sich den Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes an, so stellt man fest, dass wir noch weit weg sind von einer toleranten, freien Gesellschaft. Rassismus, Antisemitismus, antimuslimischer Rassismus, Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Behinderung, in allen Bereichen gibt es noch viel zu tun. Es dauerte mehr als ein Jahrhundert, bis wir uns als Nation zu unseren kolonialen Verbrechen als Deutsche stellen konnten. Fatal, wenn man sich den Rechtsruck heute anschaut. Darüber wollen wir auch mit Frau Julia Binter sprechen. Aber nicht nur, denn sie erforscht unter anderem, wie man die Wissensbildung der Kolonialzeit in und durch Museen nachhaltiger gestalten kann. Was sie über Diskriminierung durch bestimmte Darstellungsformen in Museen denkt.

Und wir werden feststellen, dass sie in ihrer Forschung tolle Projekte begleitet, die gerade entstehen. Hallo Frau Binter, ich freue mich auf unser Gespräch heute.

Jun.- Julia Binter

Hallo, ich mich auch. 

Thea Fabian

Frau Binter, bei den Ergebnissen Ihrer Arbeit geht es um Wiedergutmachung und es geht um Empowerment von einst unterdrückten Völkern und die Deutungshoheit ihrer eigenen Kulturen. Wie schaut jemand, der dies untersucht, auf die aktuellen Ausgrenzungen oder Diskriminierungen in unserem Land? 

Jun.- Julia Binter

Diese Ausgrenzungen und Diskriminierungen sind historisch gewachsen und wie Sie bereits erwähnt haben, über Jahrhunderte. Und wir bewegen uns gerade auf einen Moment zu, wo diese Diskriminierungen ganz offensichtlich werden und auch gesellschaftliche Spaltungen bestärken. Und dafür ein Verständnis zu entwickeln, woher kommen eigentlich Diskriminierungen, negative Stereotype von sogenannten Fremden oder Anderen, ist mir ein besonderes Anliegen. Es reicht aber nicht, Kritik daran zu üben. Ich glaube, das haben schon sehr viele vor mir getan, sondern mir geht es vor allem darum, in Kooperation mit Wissensproduzentinnen innerhalb, aber auch außerhalb der Universität Zukunftsvisionen zu entwickeln, wo es diskriminierungsärmer oder vielleicht sogar ganz ohne Diskriminierung funktioniert. Und dabei sind Museen eine ganz wichtige Arena. 

Thea Fabian

Was können wir von der Geschichte vielleicht auch lernen?

Jun.- Julia Binter

Dass es wichtig ist, einander zuzuhören und nicht monologhaft die Welt erklären zu wollen, weil in historischen Weltmodellen gab es sehr, sehr oft eine Hierarchie. Europa stand an der Spitze, kulturell, technisch,Ökonomisch. Und danach wurden viele Gesellschaften des Planeten auf einer Leiter nach unten eingeordnet. Und dieser, ja man nannte das Sozialdarwinismus, lebt in den Köpfen und den Stereotypen bis heute nach. Und ich glaube, wenn wir etwas lernen können, dann ist es, dass wir Wissensgerechtigkeit schaffen müssen, also dass wir diese hierarchische Leiter der Geschichte aufgeben müssen und uns auf Augenhöhe begegnen müssen. 

Thea Fabian:

Um Ihre Arbeit auch ein wenig einzuordnen, vielleicht können Sie in wenigen Worten auch noch mal erzählen, um was es genau bei der Erforschung Ihres Projekts um Museen geht und wieso diese Arbeit auch so wichtig ist. Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Ich co-leite derzeit ein Projekt zu den Sammlungen aus Namibia am Ethnologischen Museum in Berlin, an dem ich auch die letzten Jahre gearbeitet habe. Es ist ein Forschungs-, Kuratierungsund Restitutionsprojekt mit Partner*innen in Namibia und wir haben vor zwei Jahren insgesamt 23, was unsere Partner*innen Cultural Belongings, wir würden dazu Objekte sagen, nach Namibia zurückgebracht. Und jetzt gibt es einen großen, vielseitigen Forschungsstrang in Namibia mit Studierenden an der Universität, mit Communities, also mit auch Wissensträger*innen jenseits der Universität, mit zeitgenössischen Künstler*innen, die diese historischen Artefakte in neue Wissensformen einbinden. Und mein Part dabei ist das einerseits zu begleiten mit meiner Expertise, ich arbeite seit 15 Jahren in unterschiedlichen Museumskontexten, aber auch darüber zu reflektieren und daraus zu lernen, wie können wir denn auch solche Kooperationsprojekte zu Sammlungsgut des kolonialen Kontexts nachhaltiger und gerechter gestalten? 

Thea Fabian:

Um gegen die Diskriminierungen zumindest in der Vergangenheit anzukämpfen, findet aktuell ein reger Austausch von Wissen, Kulturgütern und Kunst statt. Die Geschichten, die es dazu gibt, zeigen, wie wertvoll dieser Austausch über Museen ist. Wir wollen über die Kulturgüter jetzt auch noch mal genauer sprechen. Und wir wollen über die daraus entstandene Kunst sprechen. Und Sie haben ja ein paar Beispiele, auch in Form von ausgedruckten Bildern mitgebracht. Vielleicht können Sie dazu den Hörer*innen ein bisschen was erzählen oder auch noch mal kurz beschreiben, was auf den einzelnen Bildern zu sehen ist. Jun.- Julia BinterSehr gerne. Interessanterweise haben Sie zu allererst ein Bild einer zeitgenössischen Künstlerin ausgewählt, Betty Tuaovisiua Katuuo, eine Ovaherero-Künstlerin, die in Namibia lebt und arbeitet und die Teil dieses Kollektivs an zeitgenössischen Künstler*innen ist, das auch, gefördert von der Heinrich-Böll-Stiftung, sich mit diesen zurückgegebenen Artefakten oder Culture Belongings auseinandersetzt. Und man sieht sie hier an einer Nähmaschine sitzen umringt von einer Vielzahl an, wir würden das Puppen nennen, Figuren, die sie aus Stoffresten umwickelt, bis daraus Menschen entstehen. Und der Körper und auch die Landschaft in Namibia sind ganz zentral für viele zeitgenössische Kunstschaffende, geradeauch aufgrund des Völkermords, den Deutschland an den Ovaherero und Nama 1904 bis 1908 begangen hat und der bis heute nachwirkt. Dieses kollektive Trauma einerseits, des Landentzugs, aber natürlich der vielen Toten und der Überlebenden, die bis heute mit diesem Trauma leben müssen. Und Betty Tuaovisiua Katuuo verarbeitet das in ihren Werken. Und mit ihrem Wissen, das auch über Generationen in ihrer Familie weitergegeben wurde, nähert sie sich jetzt diesen kulturellen Artefakten, Kulturgütern, um sie in diese Wissensbestände wieder einzuordnen und damit auch wieder neu zu beleben. 

Thea Fabian:

Genau. Es gibt noch ein paar mehr Beispiele. Vielleicht können Sie sich ja sonst auch einfach noch zwei weitere aussuchen, die Ihnen besonders wichtig erscheinen. Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Ja, dann vielleicht zwei historische Artefakte. Das eine ist eine knapp 20 Zentimeter große Puppe aus Stoff, die auf einer Missionsstation von einem vermutlich Ovaherero, Nama oder ’Nukhoen Mädchen gefertigt wurde und über einen Missionar, Carl Gotthilf Büttner,nach Berlin kam. Wie Sie schon merken, ich kenne den Namen dieses Mädchens nicht. Also die Künstlerin bleibt namenlos, weil ihr Name nie dokumentiert wurde. Eine der vielenhistorischen Persönlichkeiten, die natürlich namibische Geschichte mitgeprägt haben, aber die nicht in unserem schriftlichen kolonialen Archiv dokumentiert wurde. Und durch eine weitere Künstlerin, Cynthia Schimming, die uns auf diese Puppe und auf die Bedeutungdieser Puppe aufmerksam gemacht hat in unserem Forschungsprozess, habe ich ganz viel gelernt, eben über auch Frauen, deren Rolle im Missionskontakt, in der Mode an sich, und vor allem auch die Resilienz und der Widerstand, den sie zeigen mussten in the face of also eben vor dem Angesicht von kolonialer Gewalt, auch sexuelle Gewalt an Frauen und auch dem Völkermord. Und dadurch wird so eine kleine, vielleicht auch unscheinbare Puppe zu einem unglaublichen Wissensträger, der von Jahrhunderter langer religiöserKontaktgeschichte spricht, von einer Modegeschichte, also jungen Mädchen wurdebeigebracht durch das Nähen dieser Puppe, sie hat eine viktorianische Kleidung, also eine europäische Kleidung, an, keine Ovaherero oder Nama Kleidung, dass damit natürlich auch neue Modetraditionen eingeführt, oder Modestile eingeführt wurden und man das abernicht nur als eine Opfer-Täter-Geschichte erzählen darf, da war zum Beispiel CynthiaSchimming ganz stark dahinter, das nicht zu einseitig zu sehen, sondern dass natürlich dieses junge Mädchen in den 1870er Jahren auf diese Missionsstation immer auch ihre Idee vonWeiblichkeit, von Schönheit in das Schaffen von solchen Puppen eingeführt hat und es immer auch als Empowerment oder zumindest eine sehr selbst affirmative Geschichtegeschrieben werden kann. Und als weiteres Beispiel wiederum eine sogenannte Puppe, eine Okanona, aus dem Ovambo-Königreich im heutigen Norden von Namibia, die ebenfalls von sehr selbstbewussten Frauen erzählt. Auch das habe ich nicht alleine aus dem schriftlichen Archiv rekonstruieren können, sondern nur in Kooperation mit Nehoa Kautondokwa, einer weiteren Kooperationspartnerin im Projekt, die uns auf den Reichtum an Perlen, anunterschiedlichsten Fellen, an Materialien hingewiesen hat, mit der diese Puppe gefertigt wurde. Und wir konnten durch oral histories, also durch mündlich tradiertes Wissen, aber auch durch unterschiedlichste Archivalien herausfinden, dass es vermutlich eine sehrselbstbewusste Königin des Ondonga Königreichs war. Königin Ologondo von Ondonga, die diese Puppe einer Missionarsstochter geschenkt hat zu ihrer christlichen Hochzeit mit einem deutschen Missionar. Und über diesen Missionar wiederum wurde sie ans ethnologischeMuseum, damals Königliches Museum für Völkerkunde in Berlin, verkauft. Und beide dieserPuppen, dieser weiblichen Figuren, deuten auf diese viel marginalisierten Geschichten hin, auf die wir eigentlich nur stoßen und an die wir uns nur vorsichtig herantasten können in Kooperation, indem wir unterschiedlichste Wissensbestände und Wissensformenmiteinander in Dialog bringen. 

Thea Fabian:

Wir haben es jetzt gerade schon an den Beispielen gehört und in dem Vorgespräch haben Sie es auch schon erwähnt, dass Museen auch diskriminierend sein können. Darüber haben,denke ich mal viele von unserer Hörer*innen noch gar nicht so genau nachgedacht. Können Sie da vielleicht noch mal genauer darauf eingehen, was das denn Überhaupt bedeutet? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Museen waren und sind bis heute ein wichtiger identitätsstiftender Ort. Es werden Bilder vom Eigenen und vom Fremden kreiert. In der Kolonialzeit waren die vor allem rassistisch und auch sexistisch konnotiert. Und heute gibt es, auch schon seit einigen Jahrzehnten natürlich, Bemühungen, das zu ändern. Aber an der Kraft, an der Wirkmächtigkeit vonMuseen, daran hat sich wenig geändert. Sie bilden nach wie vor Bilder des Eigenen undFremden heraus. Und wenn Sie sich Kulturgut aus Namibia ansehen, zum Beispiel es gibt fast 400 Objekte aus Namibia im Ethnologischen Museum in Berlin. Davon wurden bis auf ein paar, keine je ausgestellt. Thea FabianWarum? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Meine Vermutung ist, weil die materielle Kultur Namibias vor allem aus Kleidungsstücken, aus persönlichen Accessoires, aus kleinen Dingen besteht und nicht aus großen Masken oder Skulpturen, die wir hier in Europa als die afrikanische Kunst konnotiert und eingeordnet haben. Und durch dieses Herausschreiben einer eurozentrischen afrikanischenKunstgeschichte wurden auch diese Kulturgüter nie wirklich wertgeschätzt. Wenn wir uns die Ausstellungsgeschichte ansehen, und es ist eines der vielen Beispiele, wie wir durch Ordnungen aus Europa den Rest der Welt in unterschiedliche Schubladen, in kunstfertig,weniger kunstfertig, in gebildet, oder weniger gebildet eingeteilt haben. Und gerade diese stereotypen Einteilungen gilt es heute zu Überdenken. Und ich glaube, das tun auch viele Museen bereits. 

Thea Fabian:

Welche Wirkung, denken Sie, wird Ihre Arbeit auf die Museen hier aber auch in dem Fall jetzt in Namibia denn haben? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Das Schöne am Projekt mit unseren namibischen Partner*innen, das übrigens von der Gerda Henkel Stiftung gefördert ist, ist, dass sobald die Objekte willkommen geheißen wurden inNamibia, ich nicht mehr viel beitragen kann und will, sondern wenn ich nach Namibia fahre, dann höre ich zu und lerne von den vielen Wissensproduzentinnen, die diese Objekte oder diese Cultural Belongings willkommen heißen und wieder einbetten. Wo ich hoffe, einenBeitrag leisten zu können, ist, wie Museen hier mit sensiblen Sammlungsgütern umgehen können, durch einen kooperativen Wissensaustausch und dadurch auch gerechtere undnachhaltigere Formen zu entwickeln, wie Restitution auch jenseits vielleicht großer Politiken mit einer Sensibilität für kulturelle, für politische, für soziale Kontexte gestaltet werden kann. 

Thea Fabian:

Wir haben jetzt über den Austausch und den Transfer in Museen gesprochen. Sie hatten in der Vorbereitung auf diesen Podcast auch erzählt, dass Künstler*innen sich mit denKulturgütern beschäftigen werden. Was kann man sich darunter vorstellen? Also was passiert dort gerade? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Wo ich große Potenziale sehe, ist einerseits, ich kenne eine Arbeit, die bereits sich mit dieser Puppe aus der Missionsstation auseinandersetzt. Cynthia Schimming hat diese PuppeUatunua getauft, hat ihr ihren eigenen Ovaherero Namen gegeben, was so viel bedeutet wie,,berührt". Und in der Ausstellung, die wir kollaborativ als deutsch namibisches Team im Humboldtforum zu unserem Projekt kuratiert haben, fragt Cynthia Schimming auch wessen Hände haben diese Puppe berührt und wessen Hände haben Frauen während des kolonialen Kriegs und Völkermords berührt? Und gerade auch, weil Cynthia Schimming diese Puppe zum Leben erweckt hat, zieht sie sehr viel Aufmerksamkeit von anderen Wissensproduzentinnen an sich. Und ein weiterer zeitgenössische Künstler, ein Poet aus Namibia, Prince Kamaazengi Marenga, hat zum Beispiel ein Gedicht geschrieben und Uatunua, diese Puppe widersprechen lassen. Und sie stellt auch ganz viele Fragen einer geteilten und auch immer noch trennenden deutsch-namibischen Geschichte. 

Thea Fabian:

Frau Binter, Sie bringen die deutsche Perspektive dieses Austauschs mit. Wir haben auch eine Expertin in Namibia gefragt, welche Rolle dieser Austausch für Sie bedeutet. Das hat GoldaHa-Eiros vom National Museum of Namibia darauf geantwortet: 

Golda Ha-Eiros: I believe my blessings come from the old and I generally enjoy working with elders and listening..."Ich glaube, dass mein Segen von den Alten kommt. Ich genieße es, mit Älteren zu arbeiten und ihre Geschichten über ihr früheres Leben zu hören.

Das andere ist auch gewissermaßen eine Wiederverbindung mit meinen Vorfahren. Wenn ich meine Vorfahren wiedertreffe, glaube ich, dass ich dadurch das Leben, das ich heute habe, mehr zu schätzen weiß. Ich konnte mich in meiner Auseinandersetzung mit den Kulturgütern selbst mit den Geschichten in Verbindung bringen. Ich konnte mir vorstellen, wie die Gemeinschaften in jenen Jahren lebten. Das war das Schöne.

Als wir das erste Mal in den Depots mit all den Kulturobjekten waren, habe ich gemerkt, dass ich einige dieser kulturellen Objekte kenne. Ich kenne sie, weil meine Großmutter welche besaß. Im Grunde genommen konnte ich die Bedeutung einiger der Kulturgüter spüren. Diese Handwerkskunst, die da drinsteckt. Ich konnte die Beschaffenheit ermessen, berühren und fühlen, wissen Sie. Aber was fehlte, war das eigentliche Bindeglied, das Wissen darüber. Ich hatte bei der Betrachtung dieser Kulturgüter als Antiquitäten Bewunderung. Aber auf der anderen Seite habe ich mich irgendwie auch sehr geschämt. Ich denke, dass die Geschichten, die ich gefunden habe, die diese Kulturgüter erzählen, Geschichten über das Leben unserer Vorfahren sind.

Viele der kulturellen Objekte wurden geschaffen, um benutzt zu werden, wie die Tassen. Das Schutzschild der Schildkröte wurde beispielsweise als Behälter für Düfte oder Parfüms verwendet, wissen Sie, es waren Kräuterdüfte. Es gab Taschen, die aus kleinen Tieren hergestellt wurden. Die Menschen benutzten sie, um ihren Kaffee und Tee aufzubewahren. Und einige tun das auch heute noch. Ich glaube, das Wichtigste, was wir während meiner Arbeit vor Ort klar wurde, war, dass das, was geplündert wurde, die Weitergabe von Wissen war, dass der Verlust der Möglichkeit, Wissen weiterzugeben, das ist, was bei der Herstellung oder Produktion materieller Kultur verloren ging. Das spornt mich an, noch härter zu arbeiten, um auch für die jüngere Generation und die heutige Jugend etwas zu bewirken. Ich tue das also auch für Sie. 

Thea Fabian:

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte in Namibia, wir haben eben reingehört, wie nehmen Sie diese in Deutschland wahr und was können wir daraus lernen? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Dass Deutschland und Namibia sehr unterschiedliche Zugänge haben deutsch-namibische Geschichte aufzuarbeiten. In Deutschland geht es um eine Vergegenwärtigung und eine Kritik an Kolonialismus und vor allem an den kolonialen Gräueltaten, die Namibia und Deutschland verbindet, also auch um eine Täter-Geschichte. Und in Namibia geht es um eine Neuschreibung der Geschichte aus namibischen Perspektiven. Und in dieser Neugeschichtsschreibung ist Deutschland eigentlich nur eine Fußnote. 

Thea Fabian:

Welche Chancen hat dieser Austausch der Kunst, aber auch der Kulturgüter über Museen für uns hier in Deutschland vielleicht auch? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Wir können dadurch lernen, einerseits zuzuhören, genau diese Toleranz einzuüben anderen Wissensformen gegenüber. Und damit glaube ich auch gesamtgesellschaftlich einiges bewegen. Indem wir Gedichte, künstlerische Ausdrucksformen aus Namibia, aber auch oral tradierte Geschichten und Bedeutungen von Kulturgütern hier auch wertschätzen und nicht nur unser an der Universität produziertes Wissen, daraus kann, glaube ich, wirklich Wissensgerechtigkeit und eine tolerantere Gesellschaft entstehen. Und das wäre so der große Impact, die große Hoffnung, die unsere Forschung damit bezwecken möchte. 

Thea Fabian:

Was würden Sie abschließend sagen, sind so die nächsten Schritte, die jetzt in kommender Zeit vielleicht auf Sie zukommen? Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

Das Rheinland und Bonn mit Umgebung hat unglaublich reiche Kulturschätze mit globalen Verflechtungen. Das sind einerseits die Universitätssammlungen, die einerseits Wissensgeschichte materialisieren und verkörpern, andererseits auch globale Verflechtungen von Amerikas bis in den Pazifik. Dessen möchte ich mich gemeinsam mit Studierendenwidmen. Und einerseits diese Wissensund Sammlungsgeschichte mit zeitgenössischen Fragen verbinden. Und andererseits ein großes Anliegen, Sie haben es ja auch schon im Namibia-Projekt gehört, sind Missionsgeschichten. Und Sankt Augustin, das von den Steyler Missionaren geleitet wird, steht vor der Haustür. Ich bin in engen, sehr inspirierenden Diskussionen mit den Steyler Missionaren und wir hoffen auch da, die eigene Missionsgeschichte an der Schnittstelle von Mission und Ethnologie neu, transdisziplinär zu befragen und auch zukunftsgerichtet neu zu orientieren. 

Thea Fabian:

Ja, vielen Dank, Frau Binter, dass Sie hier waren und für das Gespräch. Jun.-Prof.

Dr. Julia Binter

# o#p#c# Herzlichen Dank! 

Thea Fabian:

Frau Binter erforscht Wissensbildung der Kolonialzeit in und durch Museen und ist dazu aktuell in ein Projekt mit mehreren Museen in Namibia involviert. Es geht darum, den Menschen in Namibia ein Stück ihrer Kultur in Form von Kunst zurückzugeben und daran zu erinnern, wie diese Kunstwerke entstanden sind, wie sie Überhaupt nach Deutschlandgekommen sind und was sie eigentlich für einen Hintergrund haben. Frau Binter hat erklärt, dass Museen mit dem, was sie ausstellen, und auch mit dem, was sie nicht ausstellen, diskriminieren können und was in Zukunft ansteht, damit solche Diskriminierungen, die noch aus der Kolonialzeit stammen, abgebaut werden können, in Deutschland und auch in Bonn.