Neue Studie darüber, wie Regierungen radikale ökologische und soziale Maßnahmen ohne BIP-Wachstum finanzieren können

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Forscherteam der Freien Universität Berlin schlägt geld- und fiskalpolitische Maßnahmen für eine Degrowth-Transition vor

Laut einer neuen Studie unter der Leitung von Wissenschaftlern des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin hat die Höhe des Bruttoinlandsprodukts (BIP) keinen Einfluss auf die Fähigkeit von Staaten mit monetärer Souveränität, Investitionen in radikale Dekarbonisierungsmaßnahmen und ehrgeizige Sozialpolitiken wie universelle Öffentliche Dienstleistungen und eine Jobgarantie zu finanzieren. Die Studie "How to Pay for Saving the World: Modern Monetary Theory for a Degrowth Transition" wurde gerade in der Zeitschrift Ecological Economics veröffentlicht: https://www.sciencedirect.co­m/science/­article/pi­i/S0921800­923002318.

"Um den globalen Klimakollaps aufzuhalten, müssen die Öffentlichen Ausgaben massiv erhöht werden. Nur durch Öffentliche Investitionen können wir eine rechtzeitige Abkehr von fossilen Brennstoffen erreichen", sagt Christopher Olk, Doktorand am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin und Hauptautor der Studie "How to Pay for Saving the World: Modern Monetary Theory for a Degrowth Transition". Es wird weithin angenommen, dass Regierungen ihre Ausgaben nur dann erhöhen können, wenn sie zunächst das BIP steigern, um die Steuereinnahmen zu erhöhen, da sie andernfalls eine Inflation oder ein "unhaltbares" Niveau der Öffentlichen Schulden riskieren. Dies stellt ein Problem dar, da das BIP-Wachstum ökologischen Zielen zuwiderläuft. In der Tat fordert eine Mehrheit der Klimawissenschaftler jetzt ein "Degrowth" - eine demokratisch geplante, gerechte Reduzierung weniger notwendiger Produktionsformen - in Ländern mit hohem Einkommen, um eine schnellere Dekarbonisierung zu ermöglichen. Der Artikel, der in der Zeitschrift Ecological Economics veröffentlicht wurde, stützt sich auf die Moderne Geldtheorie (MMT), um zu erklären, warum Staaten mit monetärer Souveränität keinen finanziellen Zwängen unterliegen. "Im Gegensatz zu den Behauptungen konservativer Ökonomen werden die Öffentlichen Ausgaben nicht durch die Steuereinnahmen, sondern durch die Produktionskapazität der Wirtschaft begrenzt", erklärt Olk. Die Grenzen der Öffentlichen Ausgaben sind daher die sozialen und ökologischen Grenzen der Produktion. Damit Öffentliche Investitionen in eine rasche Dekarbonisierung getätigt werden können, müssen Olk zufolge einige Ressourcen, die bisher für eine sozial weniger notwendige Produktion verwendet wurden, durch gezielte Maßnahmen in nachhaltige Sektoren verlagert werden.

Zu diesem Zweck schlagen die Forscher ein umfassendes Bündel von geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen vor, um Inflation zu verhindern und wirtschaftliche Stabilität während eines Degrowth-Übergangs zu gewährleisten. Dazu gehören: eine stärkere Regulierung der privaten Geldschöpfung durch die Banken, eine progressive Besteuerung von Kapitaleinkommen sowie von Energie- und Ressourcenverbrauch, gezielte Preiskontrollen, robuste Öffentliche Versorgungssysteme und die Einführung einer emanzipatorischen, demokratisch organisierten Arbeitsplatzgarantie in nachhaltigen Sektoren. Dieser ganzheitliche politische Rahmen hat das Potenzial, eine breite demokratische Unterstützung für einen Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft aufzubauen.

"Die Regierungen tun nicht das, was notwendig ist, um unsere Lebensgrundlagen angesichts einer eskalierenden Klimakrise zu schützen", erklärt Olk. "Aber die Menschen können nur dann etwas Besseres fordern, wenn sie verstehen, dass die Untätigkeit beim Klimaschutz nicht durch makroökonomische Zwänge gerechtfertigt ist. Es ist ausschließlich eine Frage der politischen Macht."

Eine Reihe von Schuldenregeln auf europäischer und nationaler Ebene stellen rechtliche Hindernisse für die notwendigen Öffentlichen Ausgaben dar. Angesichts der existenziellen Bedrohung durch die Klimakrise schlagen die Forscher vor, diese Regeln auszusetzen, wie es die Entscheidungsträger während der Covid-19-Pandemie getan haben, oder sie schließlich durch einen demokratischeren Governance-Rahmen zu ersetzen.

Laut den Autoren der Studie, Christopher Olk, Colleen Schneider (Wirtschaftsuniversität Wien) und Jason Hickel (Universitat Autònoma de Barcelona und London School of Economics), erfordert Degrowth vor allem eine politisch gut organisierte gesellschaftliche Basis. Bedenken hinsichtlich der finanziellen Machbarkeit, der Inflation und des Lebensstandards führen häufig zu einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer radikalen sozialen und ökologischen Transformation. In ihrer Studie gehen die Autoren auf diese Bedenken ein, zeigen, wie ein solcher Übergang makroökonomisch machbar ist, und schlagen ein praktisches wirtschaftspolitisches Programm vor, mit dem ökologische und soziale Ziele gleichzeitig erreicht werden können.