Harris gegen Trump: Wer setzt sich im polarisierten Amerika durch?

Jared Sonnicksen
Jared Sonnicksen
Donald Trump verbreitet im Wahlkampf gegen Kamala Harris widerlegte Falschbehauptungen. RWTH-Politikwissenschaftler Jared Sonnicksen analysiert die Chancen beider Kandidatinnen und Kandidaten bei der US-Wahl im November.

Migranten in Springfield würden Haustiere stehlen und essen - diese und andere Lügen verbreitet Donald Trump im Wahlkampf gegen Kamala Harris. Trotz öffentlicher Dementis von Stadt und Polizei wiederholt Trump diese Behauptungen sowohl in der TV-Debatte gegen Harris als auch bei anderen öffentlichen Auftritten. Wie stehen die Erfolgsaussichten des ehemaligen Präsidenten dieses Jahr bei der Wahl zum höchsten Amt der USA am 5. November? Hat seine Kontrahentin eine realistische Chance?

Professor Jared Sonnicksen, Politikwissenschaftler an der RWTH Aachen und gebürtiger Amerikaner, verfolgt die politischen Entwicklungen in den USA sowohl aus professioneller als auch aus persönlicher Perspektive. Als Wahlberechtigter in den USA hat er die vergangenen Wahlen intensiv verfolgt und schätzt die Dynamik dieser Wahl als besonders spannend ein.

Aus dem TV-Duell Mitte September kann Sonnicksen wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Bedeutung für die Präsidentschaftskandidatin ableiten: ,,Die Debatte war für Harris wichtiger als für Trump. Sie konnte ihre Bekanntheit erhöhen und ihre politischen Inhalte vorstellen." Mit dem Kandidatenwechsel von Joe Biden zu Kamala Harris sei innerhalb der Partei ein Stimmungswechsel zu beobachten gewesen. ,,Die Stimmung bei den Demokraten war nach dem Kandidatenwechsel geradezu elektrisiert."

Auf die Frage, warum Biden nicht schon früher zurückgetreten sei, verweist Sonnicksen auf die parteiinternen Dynamiken: ,,In der Regel wird in den USA der amtierende Präsident nicht von einem innerparteilichen Konkurrenten herausgefordert", nennt Sonnicksen einen Grund. Und Biden sei lange Zeit Überzeugt gewesen, wieder als Präsident kandidieren zu wollen. Dabei ging es ihm laut Sonnicksen aber weniger um den Machterhalt aus eigenem Interesse: ,,Ich denke, Biden sieht Trump als Gefährder für die Demokratie. Indem Biden Präsident bleibt, glaubt er sowohl innenals auch außenpolitisch für Stabilität sorgen zu können."

Trotz seiner Überzeugung entschied sich Biden aufgrund parteiinternen Drucks, seine Kandidatur zurückzuziehen. Damit machte er den Weg frei für Harris, die laut vielen Medien als klare Siegerin aus der TV-Debatte hervorging. Ihr Auftritt war deutlich stärker als der von Trump. ,,Kamala Harris nahm das erste Mal an einer Präsidentschaftsdebatte teil und hat dennoch eine wirklich gute Leistung vollbracht. Viele unterschätzen sie allerdings - dabei war Harris lange Staatsanwältin und hat viel politische Erfahrung", sagt Sonnicksen. Während der Debatte war es ihr gelungen, Trump zu provozieren und ihn so erfolgreich von seinen Themen abzulenken.

Ob dies genügt, um Überzeugte Trump-Wähler umzustimmen, ist fraglich: ,,Die Lager sind sehr festgefahren in den USA", sagt Sonnicksen. Die Chancen für den früheren US-Präsidenten stehen ebenso gut wie 2016, schätzt der Politikwissenschaftler. ,,Trotz der Krisen und Eklats - trotz all des Chaos, das in seiner Amtszeit von 2017 bis 2021 geherrscht hat, hat Trump 2020 sogar 10 Millionen mehr Stimmen bekommen als vier Jahre zuvor. Trump kann lügen und politische Gegner verunglimpfen und ist trotzdem beliebt. ,,Das ist deshalb möglich, weil die republikanische Partei hinter ihm steht", erklärt Sonnicksen. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und vermutet, dass Trump noch mehr Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen könnte als beim letzten Mal. Er profitiert von der Unzufriedenheit vieler US-Amerikanerinnen und Amerikaner mit der aktuellen Regierung, die unter anderem für Inflation und steigende Energiekosten verantwortlich gemacht wird.

Kamala Harris hingegen könnte als erste Frau, die zudem einen doppelten Migrationshintergrund hat, das Amt der US-Präsidentin bekleiden. ,,Das hätte eine große symbolische Wirkung und wäre ein starkes Signal für viele Menschen", betont Sonnicksen.

Falls Trump die Wahl jedoch verlieren sollte, warnt der Politikwissenschaftler vor möglichen Unruhen: ,,Wir müssen mit Turbulenzen rechnen, sollte Harris die Wahl gewinnen." Der Sturm auf das Kapitol 2021, der das erste Mal seit dem Bürgerkrieg 1861 einen nicht friedlichen Machtwechsel in den USA markierte, könnte sich wiederholen. ,,Es ist fraglich, ob Trump eine Niederlage akzeptieren wird."

Unterschiede zwischen deutschem und US-amerikanischem Wahlkampf Ein wichtiger Unterschied zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Wahlsystem liegt in der Wahl des Regierungschefs. Während in Deutschland das Parlament den Kanzler oder die Kanzlerin wählt, wird der Präsident der USA durch ein Wahlkollegium bestimmt. Dieses setzt sich aus sogenannten Wahlleuten zusammen, die innerhalb der Bundesstaaten bestimmt werden. Die Anzahl der Wahlleute, beziehungsweise Wahlstimmen (electoral votes), die ein Bundesstaat hat, richtet sich nach der Zahl seiner Abgeordneten im Repräsentantenhaus (abhängig von Bevölkerungszahl) und im Senat (zwei pro Bundesstaat). Dadurch kann es vorkommen, dass nicht der Kandidat mit den meisten Wählerstimmen gewinnt, sondern der, der die Mehrheit der Wahlleute hinter sich hat. So war es 2016 bei der Wahl zwischen Trump und Hillary Clinton. Das amerikanische System betont stark die Personalisierung der Wahl. Man wählt nicht nur eine Partei, sondern eine Persönlichkeit, die für das höchste Amt im Staat antritt.