Forschung mit gesamteuropäischer Perspektive: Den Aggressor Überwinden

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Daimler und Benz Stiftung fördert ,,Ladenburger Kolleg" zu Geschichtsnarrativen in Europa mit rund 1,5 Millionen Euro

Mit den wirkmächtigen Bildern von Aggressoren und ihrer Rolle als Akteure zwischen den Nationen befasst sich ein interdisziplinäres Verbundvorhaben, das sich sowohl der Bedeutung von Feindbildern bei der Nationenund Staatsbildung als auch konkurrierenden Geschichtsdeutungen von nationalen Helden widmen wird. ,,In fast allen Ländern Europas bleibt der vergangenheitspolitische Fokus auf auswärtige Aggressoren und die Opfer der eigenen Nation gerichtet. Dabei wird häufig jene Gewalt ausgeblendet, die ein Aggressor aus dem eigenen Staat anderen Völkern angetan hat. Dieses Konfliktpotential in einer gesamteuropäischen Perspektive aufzuarbeiten, ist Ziel unseres Projekts", sagt Thomas Maissen, Historiker an der Universität Heidelberg und aktuell Direktor am Deutschen Historischen Institut in Paris (Frankreich). Er ist wissenschaftlicher Sprecher eines internationalen Leitungskonsortiums, das die dreijährigen Arbeiten koordiniert. Für dieses neue ,,Ladenburger Kolleg" stellt die Daimler und Benz Stiftung Mittel in Höhe von 1,5 Millionen Euro zur Verfügung.

Im Mittelpunkt des Verbundvorhabens ,,Den Aggressor Überwinden. Selbstund Fremdwahrnehmung eines Akteurs zwischen den Nationen" steht die Frage, wie eigene und fremde Aggressoren gedeutet werden und wie diese Deutungen nationale Vorstellungen prägen. Alle europäischen Nationen definieren ihren Charakter und ihre Eigenständigkeit über die Auseinandersetzung mit denjenigen, die einen Konflikt ausgelöst und das eigene Land angegriffen haben. ,,Die heldenhafte Abwehr, das Leiden der Opfer, die freiheitsdurstige Résistance werden zu Grundnarrativen", betont Maissen. ,,Es brauchte nicht Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, um die Bedeutung von Feindbildern bei der Nationenund Staatsbildung vor Augen zu führen. Sie werden nicht nur konstruiert und gepflegt, sondern können auch schnell für die Legitimation blutiger Konflikte instrumentalisiert werden", so der Heidelberger Wissenschaftler.

In dem Verbundvorhaben richten die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Blick auf ebenso herausragende wie umstrittene Einzelpersonen, etwa den ,,Sonnenkönig" Ludwig XIV., Reichskanzler Otto von Bismarck, den sowjetischen Diktator Josef Stalin oder den früheren serbischen Machthaber Slobodan Milo¨evic. Der Vergleich konkurrierender Geschichtsbilder soll vom aktuellen historiographischen Forschungsstand ausgehen, wird sich aber ebenso den Verfahren und Medien der Popularisierung widmen, etwa der Darstellung in Schulbüchern, Filmen, Comics oder Computerspielen. ,,Nicht zuletzt wollen wir untersuchen, wie historische Narrative über Aggressoren in den politischen Diskursen des 21. Jahrhunderts ebenso zur identitätsstiftenden Abgrenzung benutzt werden wie zur Profilierung vor allem von extremistischen Parteien", betont Thomas Maissen, der zum September 2023 auf seine Professur am Historischen Seminar der Universität Heidelberg zurückkehren wird. Im Leitungskonsortium des Projekts wird er mit Stefan Berger (Bochum), Diana Mishkova (Sofia), Ilaria Porciani (Bologna) und Balázs Trencsényi (Budapest) zusammenarbeiten.

Die ,,Ladenburger Kollegs" - eine Schwerpunktförderung der Daimler und Benz Stiftung mit Sitz in Ladenburg - bietet die Möglichkeit, Themenstellungen über einen längeren Zeitraum innerhalb eines interdisziplinären Forschungsverbunds zu bearbeiten. In das neue Kolleg zu ,,Geschichtsnarrativen in Europa zwischen Konflikt und Dialog" sind 20 Senior Scholars aus mehreren europäischen Ländern eingebunden. Zusammen mit Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforschern - das Projekt umfasst auch Stellen für Doktoranden und Postdoktoranden - werden sie das Nachwirken und die aktuelle Präsentation zentraler historischer Akteure in Europa in ihrer biund multilateralen Wahrnehmung untersuchen. Kooperationspartner sind unter anderem das an der Universität Heidelberg angesiedelte Graduiertenkolleg ,,Ambivalente Feindschaft", das Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel, der International Council of Museums mit Sitz in Paris, das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und die Max Weber Stiftung in Bonn.