Methoden aus der chemischen Biologie haben über die Jahre einen wichtigen Beitrag zur Untersuchung integraler Membranproteine geleistet. Ein wichtiger moderner Ansatz dabei: die Erweiterung des genetischen Codes (genetic code expansion, GCE), die es ermöglicht, direkt in lebenden Zellen Proteine gezielt zu verändern und mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu versehen. Eine Pionierin auf diesem Gebiet ist Irene Coin von der Universität Leipzig. Gemeinsam mit ihrem US-Kollegen Prof. Thomas Sakmar (Rockefeller University, New York) bietet sie nun in der renommierten Fachzeitschrift ,,Chemical Reviews" einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der GCE-Technologie und deren Anwendung. Ihrem Labor wurde zudem von der gemeinnützigen Organisation Addgene die Auszeichnung ,,Blaue Flamme" verliehen.
,,Alle Proteine in unserem Körper werden aus 20 Bausteinen gebildet, den sogenannten kanonischen Aminosäuren. Welche Aminosäuren jeweils eingebaut werden, bestimmt unser genetische Code. Durch eine Erweiterung des genetischen Codes kann man künstlich neue Bausteine in Proteine einfügen", erläutert Irene Coin. ,,Dadurch können wir Proteine herstellen, die in der Natur nicht vorkommen. Diese Technik wird vor allem genutzt, um neuartige Protein-Therapeutika zu entwickeln und um Struktur und Funktion von natürlichen Proteinen besser zu verstehen."
Coin und ihr Kollege Thomas Sakmar haben in ,,Chemical Reviews" einen umfassenden Überblick über die historische Entwicklung der GCE-Technologie und deren Anwendung auf Membranproteine veröffentlicht, basierend auf rund 450 Zitierungen. ,,Der entscheidende Aspekt dabei ist, dass GCE ermöglicht, Informationen über diese Proteine direkt aus lebenden Zellen zu gewinnen - Informationen, die mit klassischen biophysikalischen Methoden nicht zugänglich sind."
Der Überblick sei strukturiert nach potenziellen Anwendungsmöglichkeiten der Technologie. ,,Das erhöht die Verständlichkeit für nicht spezialisierte Forschende, die die Technik anwenden möchten, und unterstützt die praktische Umsetzung", sagt die Professorin. ,,Ebenso arbeiten wir im Labor an der Neuentwicklung von immer effizienteren Systemen für die allgemeine Anwendung von GCE."
Das Labor der Leipziger Biochemikerin wurde jüngst mit dem ,,Blue Flame Award" der gemeinnützigen Organisation Addgene ausgezeichnet. Diesen Preis vergibt Addgene seit 2016 an Forscher:innen, die mindestens ein Plasmid hinterlegt haben, das mehr als hundertmal verbreitet wurde. Das betreffende Plasmid wurde in der Doktorarbeit von Robert Serfling entwickelt. Plasmide sind kleine, ringförmige DNA-Stücke, die es erlauben, erwünschte Gene in Zellen zu importieren. Addgene ist ein Plasmid-Repositorium, das den Austausch von genetischem Material zwischen Laboratorien weltweit erleichtert.
Irene Coin leistet mit ihrer Arbeit bei der Erweiterung des genetischen Codes einen wichtigen Beitrag zu führenden Forschungsverbünden der Universität Leipzig, insbesondere dem Sonderforschungsbereich (SFB) 1423, ,,Strukturelle Dynamik der GPCR-Aktivierung und Signaltransduktion" .
Originaltitel der Publikation in Chemical Reviews:
,,Non-canonical Amino Acid Tools and their Application to Membrane Protein Studies" , DOI: doi.org/10.1021/acs.chemrev.4c00181