Wörter in Gebärdensprachen stellen Objekte und Handlungen als symbolische Metaphern dar. Wie diese in unterschiedlichen Gebärdensprachen von den Gebärdensprechenden in ihrem mentalen Lexikon abgespeichert werden, erforscht Dr. Hope Morgan. Seit Januar 2024 verstärkt sie die Forschung am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg. Mit einem ihrer Forschungsprojekte wird sie nun ab dem 1. Februar vom Europäischen Forschungsrat mit einem Starting Grant in Höhe von knapp 1,5 Millionen Euro gefördert.
Wörter in Gebärdensprachen sind voller visueller Bedeutung, weil sie Objekte und Handlungen mit Formen und Bewegungen als symbolische Metaphern darstellen. So bedeutet zum Beispiel in einer Sprache die Gebärde des Herausziehens von Wörtern aus dem Kopf -nachdenken-. Anders als bei der Lautsprache gibt es in den Gebärdensprachen keine Abfolgen von Konsonanten und Vokalen für Begriffe, sondern die gleichzeitige Kombination von zum Beispiel Handform, Mundgesten oder Mimik.
Wie Gebärdensprechende diese Kombinationen in ihrem mentalen Lexikon speichern, ist sowohl auf der Ebene von Verhaltensund neuronalen Phänomenen als auch auf der Ebene der linguistischen Analyse noch weitgehend unerforscht. Dabei geht es beispielsweise um folgende Fragen: Wie sind eigentlich Wörter in Gebärdensprache aufgebaut, wenn selbst kleinste Formeinheiten wie hakenförmige Finger oder eine Stelle am Hals Bedeutung tragen können? Wie variieren diese Komponenten von Gebärdensprache zu Gebärdensprache und wo sind die ikonischen Wurzeln des Form-Bedeutungs-Zusammenhangs in den Gebärdensprachen erkennbar?
Dr. Morgan, die bisher an der niederländischen Universität Leiden geforscht hat, möchte mit ihrem Projekt -Naming the world: Semantic associations and form-meaning mappings in the mental lexicon across sign Languages (SemaSign)- bessere Gebärdensprachressourcen für das Lehren und Lernen schaffen und die Sprachtechnologie weiterentwickeln. Im Projekt sollen Form-Bedeutungs-Korrespondenzen in Gebärdensprachen mithilfe computergestützter Analysen aufgespürt und gleichzeitig neue empirisch belastbare Datensätze erstellt werden, um zu zeigen, wie Zeichen im mentalen Lexikon organisiert sind.
Für Gebärdensprachen aus Deutschland, Kenia und Guinea-Bissau sollen semantische Netzwerke auf der Grundlage von Wortassoziationsantworten erstellt werden. Dabei sieht eine gebärdensprechende Person ein Zeichen aus ihrer Sprache und antwortet mit den ersten drei Zeichen, die ihr in den Sinn kommen. So soll ein objektives Maß für die semantische Verwandtschaft geschaffen werden, um mittels computergestützter Verfahren Gruppen von Zeichen zu finden, die sowohl in ihrer Form als auch in ihrer Bedeutung ungewöhnlich nahe beieinander liegen. Da die Gebärdensprache in Guinea-Bissau erst vor 15 Jahren entstanden ist, wollen Dr. Morgan und ihr Team auch herausfinden, wie Lexika in einem sehr frühen Stadium entstehen und wachsen.
Der European Research Council (ERC) vergibt die Starting Grants an herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, deren Promotion zwei bis sieben Jahre zurückliegt. Der Starting Grant für SemaSign ist mit knapp 1,5 Millionen Euro dotiert und hat eine Laufzeit von 60 Monaten.