Geophysiker der Freien Universität Berlin untersuchen durch Industrie induzierte Erdbeben.
Der Mensch kann durch Eingriffe in die Natur Erdbeben auslösen - das ist bereits länger bekannt. Insbesondere Industrieaktivitäten wie etwa tiefe Geothermie, Öl- oder Gasförderung und die unterirdische Entsorgung großer Salzwassermengen, die mit Kohlenwasserstoffen mitgefördert wurden, können zu Erschütterungen der Erde führen, die in Ausnahmesituationen mit Todesopfern, häufig aber mit weiteren negativen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Folgen in den betroffenen Regionen verbunden sind. Ein Forschungsteam von Geophysikern der Freien Universität Berlin hat zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der ETH Zürich, der Universität Pisa, der Stanford University und der Southern University of Shenzhen die komplexen physikalische Prozesse zusammengefasst, die insbesondere bei industriellen Flüssigkeitsinjektionen in die Erde sowie bei Extraktionen aus der Erde auftreten. Die Studie, die im Dezember im Fachmagazin ,,Nature Reviews - Earth and Environment" erschienen ist, könnte dazu beitragen, mögliche negative Auswirkungen durch innovative Energiewende-Technologien wie die tiefe Geothermie oder die unterirdische CO2-Speicherung zu minimieren. Die konkreten Forschungsergebnisse könnten insbesondere für Geowissenschaftler, Industrievertreter, Regulierungsbehörden und politische Entscheidungsträger relevant sein.
In Zusammenarbeit mit internationalen Kolleginnen und Kollegen untersuchen die Forschenden Dr. Mohammad Moein, Dr. Cornelius Langenbruch und Serge Shapiro der Freien Universität Berlin Erderschütterungen, die bei der konventionellen Kohlenwasserstoffgewinnung, beim hydraulischen Fracking unkonventioneller Kohlenwasserstoffreservoire, bei der Entwicklung von tiefen geothermischen Systemen, bei Bergbaubetrieben, der unterirdischen Salzwasserentsorgung oder bei unterirdischen Gasoder Co2-Speichervorgängen verursacht werden können. Das Team fand heraus, dass Erdbeben, die durch Flüssigkeitsinjektionen und -extraktionen ausgelöst werden, hauptsächlich durch Spannungsänderungen an präexistierenden tektonisch belasteten Bruchflächen entstehen.
,,Insbesondere Porendruckdiffusion und poroelastische Kopplungen konnten als Hauptauslösemechanismen für injektionsinduzierte und extraktionsinduzierte Seismizität identifiziert werden", sagt Serge Shapiro. Während der Injektion von Flüssigkeiten in tiefen Gesteinen führt ein höherer Porendruck zu einem Abfallen der Normalspannung, was die Bruchflächen destabilisiert und Erdbeben auslösen kann.
Die ,,Nature"-Studie ,,The physical mechanisms of induced earthquakes" zeigt auch, dass die Auslösemechanismen für vom Menschen verursachte Erdbeben von Standort zu Standort variieren können. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die komplexe Interaktion zwischen verschiedenen industriellen Aktivitäten, insbesondere in Gebieten, in denen sowohl hydraulisches Fracking als auch die Entsorgung großer Salzwassermengen, die mit dem Kohlenwasserstoff mitgefördert wird, stattfinden. Auch andere Faktoren wie z. B. die Entfernung zu jedem Bohrloch, die Menge des injizierten Flüssigkeitsvolumens, Betriebszeitfenster und die jeweiligen geologischen und hydrologischen Eigenschaften sind entscheidend für die komplexen physikalischen Prozesse, die zu Spannungen in Gesteinsformationen führen können.
Das internationale Forschungsteam empfiehlt den Aufbau eines mikroseismischen Überwachsungsnetzes an jedem Bohr-Standort, um induzierte Seismizität frühzeitig erkennen zu können. Auch Faser-optische Sensortechnologien könnten dabei zum Einsatz kommen.
Da bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse über vom Menschen verursachte Erdbeben vor allem aus In-situ-Experimenten - also bei Veränderungen vor Ort - abgeleitet wurden, die aber häufig nur begrenzte Möglichkeiten für Tiefenmessungen haben, plädieren die Wissenschaftler zudem für neue Forschungsansätze, bei denen auch die Möglichkeiten von physikbasierten KI-Methoden genutzt werden. ,,Aktuell können die Risiken von induzierter Seismizität nur statistisch geschätzt werden. Dabei werden bislang nur wenige physikalische Faktoren in entsprechende Vorhersage-Modelle integriert", sagt der Geophysiker Dr. Cornelius Langenbruch. Die neue Studie unterstreicht daher die Bedeutung physikalischer Modelle, die gekoppelte multiphysikalische Prozesse erfassen können und zum Beispiel auch die Bruchbildung und Ausbreitung über mehrere Skalen berücksichtigen. ,,Die Entwicklung physikbasierter Vorhersagemodelle und die damit verbundene Risikominimierung von induzierten Erdbeben könnte die gesellschaftliche Akzeptanz neuer Geo-Energie-Technologien erhöhen", sagt der Geophysiker und Erstautor der Studie Dr. Mohammad Javad Afshari Moein von der Freien Universität Berlin.
Diese Erkenntnisse waren außerdem Grundlage für eine weitere Publikation der Geophysikarbeitsgruppe (Boitz, Langenbruch, Shapiro) in "Nature Communications". In dieser Arbeit haben die Forschenden die Ideen der ersten Publikation weiterentwickelt und auf die Erdgasförderung im Gasfeld von Groningen (Niederlande) angewendet. Sie konnten zeigen, dass die dort durch die Erdgasproduktion induzierten Erdbeben durch poroelastische Effekte verursacht sind und sehr wahrscheinlich keine Verbindung zu großen tektonischen Störungszonen zeigen. "Dies vermindert die Wahrscheinlichkeit von starken Erdbeben im Gasfeld von Groningen", sagt der Geophysiker Dr. Nepomuk Boitz von der Freien Universität Berlin. (cxm)
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