Stickstoff-Verschmutzung treibt Waldpflanzen nach Westen

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Blühender Bärlauch (Allium ursinum) auf der Untersuchungsfläche des Forschungsze
Blühender Bärlauch (Allium ursinum) auf der Untersuchungsfläche des Forschungszentrums Waldökosysteme der Universität Göttingen. Nicht nur regional wie im Göttinger Wald, sondern auch europaweit ist eine Zunahme dieser Frühjahrspflanze mit einer Ausbreitung nach Westen festzustellen. Neben dem Klimawandel und einer veränderten Waldbewirtschaftung sind auch hohe atmosphärische Stickstoffeinträge dafür verantwortlich. Foto: Wolfgang Schmidt

Klimawandel nicht Hauptursache der Verschiebung von Verbreitungsgebieten europäischer Waldpflanzen

 

Die geografische Verschiebung von Arten wird bislang hautsächlich dem Klimawandel zugeschrieben. Eine neue Studie zeigt dagegen, dass dabei andere Umweltfaktoren eine wichtige Rolle spielen. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Gent und mit der Beteiligung der Universität Göttingen untersuchte die Biodiversität von Wäldern im Zusammenhang mit dem Klimawandel und dem Eintrag von Stickstoff und Schwefel. Dabei kam heraus, dass viele europäische Waldpflanzenarten nach Westen wandern und diese Verschiebungen häufiger vorkamen als die nach Norden. Den Grund dafür sehen die Forschenden in den zu hohen atmosphärischen Einträgen an Stickstoff, sodass auch von einer Stickstoff-Verschmutzung gesprochen werden kann. Gleichzeitig ist Stickstoff auch ein entscheidender Nährstofffaktor für das Pflanzenwachstum. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.

Die Studie untersuchte die Arealverschiebungen von 266 Waldpflanzen innerhalb von Europa über viele Jahrzehnte. Sie zeigte, dass 39 Prozent der Pflanzenarten sich in ihrem Verbreitungsareal nach Westen verschieben, während Verschiebungen nach Norden nur zu 15 Prozent zu beobachten waren. Als Ursache der Bewegungen identifizierten die Forschenden einen entsprechenden Gradienten in der Luftverschmutzung, der mit erhöhten Stickstoff-Belastungen einhergeht. Zudem können sowohl Stickstoff als auch Schwefel zu einer Versauerung des Bodens führen. Konkurrenzschwache Pflanzen stickstoffarmer Standorte wurden durch solche ersetzt, die erst bei einem hohen Nährstoffangebot mit Stickstoff konkurrenzfähig werden.

Für die Studie stellten Forschende der Universität Göttingen wichtige Daten zur Verfügung. ,,Inzwischen sind in der internationalen Datenbank ForestReplot 11 Datensätze mit mehr als 1000 Aufnahmeflächen aus unseren Untersuchungen, Forschungsprojekten und Examensarbeiten vorhanden", berichtet als einer der Co-Autoren Wolfgang Schmidt von der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie. ,,Unsere ältesten Erstaufnahmen stammen aus dem Zeitraum von 1955 bis 1970, unsere bislang letzten Wiederholungsaufnahmen aus dem Zeitraum zwischen 2009 und 2023." Zu den Ergebnissen sagt er: ,,In Zeiten des Klimawandels geraten häufig andere Umweltveränderungen aus dem Blick, allerdings reagieren Ökosysteme wie Wälder häufig komplex."

Die Untersuchung verdeutlicht, dass künftige Muster der Biodiversität durch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Umweltveränderungen bestimmt werden. Das Verständnis dieser komplexen Wechselwirkungen ist von entscheidender Bedeutung, um die biologische Vielfalt und das Funktionieren von Ökosystemen zu schützen.

Originalveröffentlichung: Pieter Sanczuk et al. Unexpected westward range shifts in European forest plants link to nitrogen deposition. Science 2024. DOI: doi.org/10.1126/science.ado0878